Spruch des Seeamts Hamburg zur Havarie der "SÖDERHAMN"

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Peter Hartung
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Spruch des Seeamts Hamburg zur Havarie der "SÖDERHAMN"

Beitrag von Peter Hartung »

Moin!

Es ist eine ganz alte Geschichte von der Strandung des Dampfers "SÖDERHAMN" im Jahr 1894 vor der Küste von Senegal:

Seeamt zu Hamburg

In seeamtlichen Untersuchungssachen
Betreffend

Die Strandung
Des deutschen Dampfers
„Söderhamn“
Schiffer Hartung

hat das Seeamt auf Grund der in der öffentlichen Sitzung am 8. März 1894 stattgehabten Hauptverhandlung, an welchen Theil genommen:

1. als Vorsitzender: Dr. O. Goßlev
2. als Beisitzer:
a. Kapitain Koldewey
b. Kapitain Maßstorff
c. Kapitain Volkertsen
d. Kapitain Woitschewski

3. als Protokollführer: Oetzmann,
4. als Reichscommissar: ConterAdmiral z.D. Przewisinski

den folgenden Spruch verkündet:

die Strandung des Dampfer „Söderhamn“ nördlich von Cap Verde an der Küste von Senegal am 4.ten Februar 1894, bei welcher das Schiff Wrack wurde, ist durch eine fehlerhafte astronomische Ortsbestimmung am Mittag vor der Strandung, in Folge dessen Schiffer Hartung seinen Curs um 1 ¼ Strich mehr südlich veränderte, herbeigeführt.

Bei größerer Aufmerksamkeit und Vorsicht hätte die Strandung sich vermeiden lassen.

Es ist als Mangel im Schiffsdienst zu bezeichnen, dass außer dem wachhabenden Steuermann zur zwei Mann, Ausgucksmann und Rudersmann, auf der Wache zur Verfügung waren, und ersterer beiden im kritischen Moment der unbewussten Annährung an die Küste zum Auszurren der Wache ihre Posten verließen. Die Wachen ist so zu besetzen, dass ein Verlassen der Brücke seitens des Wachhabenden ohne geeignete Vertretung nicht erforderlich wird.

Thatbestand.

Der deutsche Dampfer „Söderhamn“, Unterscheidungssignal RJSV, welcher mit einer Ladung Kohlen und Stückgüter von Hamburg nach Lagos bestimmt war, strandete am 4ten Februar 1894 Morgens 4 Uhr an der Küste von Senegal nördlich von Cap Verde.

Die aus 16 Köpfen befindliche Besatzung und ein an Bord befindlicher Passagier retteten sich in einem Boot an Land und marschierten den Strand entlang bis Dakar.

Sämtliche Effekten und Schiffsbücher mit Ausnahme der Schiffsjournalkladde und der Musterrolle sind verloren gegangen, indem sich ein Trupp bewaffneter Neger, welcher sich an der Strandungsstelle eingefunden hatte, der an Land geschafften Sachen bemächtigte. Der Dampfer wurde an der Strandungsstelle vollständig Wrack.

Aus der in Bordeaux vor dem deutschen Konsulat daselbst auf der Rückreise der Mannschaft nach Hamburg abgelegten Verklarung und der Vernehmung der Besatzung vor dem Seeamt geht folgendes hervor:
Der „Söderhamn“ ist ein im Jahre 1893 zu Copenhagen erbauter Schraubendampfer aus Stahl mit einer Maschine von 500 indicerten Pferdekräften und einem Nettoraumgehalt von 16216,6 cbm. = 570,31 brit. Reg. Tons nach deutschem Abzugsverfahren. Das Schiff gehörte einer Partenrheederei, deren Correspondentrheder die Hamburger Handelsfirma H.M. Gehrckens ist. Cerficiert war das Schiff bei dem Bureau Veritas mit der ersten Klasse +I 3/3.A.I.I.P.R._AxCP.
Versichert war das Schiff zu M 250.000,--, die Frachtgelder für M 40.000,--.
Das Schiff wurde geführt vom Schiffer Paul Adolph Hartung aus Wolfenbüttel, welcher im Besitze eines zu Hamburg unter dem 13ten Januar 1890 ausgestellten Befähigungszeugnisses zum Schiffer auf großer Fahrt ist. Die Besatzung bestand aus dem Schiffer, zwei Steuerleuten, drei Maschinisten, vier Heizern, einem Koch, einem Schiffsjungen, einem Zimmermann und drei Matrosen.
Das Schiff machte seine zweite Reise. Schiffer Hartung hatte dasselbe erst am 18th Januar 1894 übernommen. Am 21ten Januar 1894 hatte der „Söderhamn“ Hamburg verlassen. Der Tiefgang des Schiffes betrug 14 Fuß 5 Zoll vorne und 16 Fuß 5 Zoll hinten.
Am 31ten Januar traf der „Söderhamn“ im Hafen von Puerto de la Cruzauf Las Palmas, einer der Canarischen Inseln, ein, completirte dort seinen Kohlenvorrath und setzte noch am selben Tage seine Reise fort. Das Schiff hatte jetzt vorne 13 Fuß 10 Zoll, hinten 16 Fuß 4 Zoll Tiefgang. In Las Palmas wurde der Chronometer verglichen, und stimmte derselbe bis auf ein paar Minuten in der Länge. Das Wetter war auf der Weiterreise andauernd schön bei abwechseln leichter und frischer Briese aus N.O.

wird fortgesetzt.

mfg Peter Hartung

Dieser Bericht wurde dankenswerterweise von Herrn Oliver Timm zur Verfügung gestellt. Sollte beim Leser der Eindruck entstehen, ich wäre mit dem in dem Seeamtsverhandlungsprotokoll erwähnten Kapitän Hartung verwandt oder verschwägert, so trifft dies nicht zu.
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Peter Hartung
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Re: Spruch des Seeamts Hamburg zur Havarie der "SÖDERHAMN"

Beitrag von Peter Hartung »

Guten Abend!

Fortsetzung der Verhandlung vor dem Seeamt Hamburg im Februar 1894:

In Las Palmas wurde der Chronometer verglichen, und stimmte derselbe bis auf ein paar Minuten in der Länge. Das Wetter war auf der Weiterreise andauernd schön bei abwechseln leichter und frischer Briese aus N.O.
Durch Loggrechnung und astronomische Beobachtung wurde täglich der Schiffsort festgestellt. Am Sonnabend dem 3ten Februar war der Wind leicht aus N.O., das Wetter klar und schön. Man steuerte S.z.W. ½ W. S.S.W magnetisch.

Gegen 9 Uhr Morgens nahmen Schiffer Hartung und der erste Steuermann Köpcke die Höhe der Chronometerbeobachtung. Mittags wurde eine Sonnenhöhe genommen, doch war die Kimm diesiger als des Morgens; dann rechneten beide das Besteck aus, welches das gleiche Resultat ergab. Da aber die astronomische Beobachtung gegenüber der Loggrechnung eine sehr erhebliche Versetzung ergab, ging Schiffer Hartung nochmals an Deck, um eine Sonnenhöhe zu nehmen. Die Sonne war jedoch schon etwas gefallen. Eine abermalige Nachrechnung ergab wiederum denselben Schiffsort, und nahm Schiffer Hartung hieraus an, das seine astronomische Berechnung richtig sei. Der Curs wurde nun auf S ½ W. S ¾ W. magnetisch bestimmt, und sollte derselbe das Schiff etwa 25 – 30 Seemeilen frei von Cap Verde führen. Falls das Wetter sichtig und schön blieb, wollte Schiffer Hartung Cap Verde wegen Regulierung des Chronometers in Sicht laufen. Nachmittags 4 Uhr bestimmte Schiffer Hartung die Deviation durch Azimuth, welche auf dem gesteuerten Curs 4° Ost ergab. Die Kimm war noch immer diesig. Das Wetter blieb auch mit Dunkelwerden schön, der Wind war leicht aus Osten, man verfolgte den Curs S ½ W. die Maschine arbeitete mit voller Kraft, und machte der „Söderhamn“ ausweise des Patentloggs 9 ½ Seemeilen per Stunde. Schiffer Hartung hatte die Wache von Abends 8 Uhr bis 12 Uhr Nachts. Nach Hartungs Annahme sollte zwischen 11 und 12 Uhr Cap Verde Feuer, dessen Sichtkreis man eben anlaufen mußte, in Sicht kommen. Als dasselbe um 11 ½ Uhr nicht erblickt wurde, zog sich Schiffer Hartung ins Kartenzimmer zurück, um zu ruhen, in der Annahme, das Feuer sei schon passiert.

In Las Palmas wurde der Chronometer verglichen, und stimmte derselbe bis auf ein paar Minuten in der Länge. Das Wetter war auf der Weiterreise andauernd schön bei abwechseln leichter und frischer Briese aus N.O.
Durch Loggrechnung und astronomische Beobachtung wurde täglich der Schiffsort festgestellt. Am Sonnabend dem 3ten Februar war der Wind leicht aus N.O., das Wetter klar und schön. Man steuerte S.z.W. ½ W. S.S.W magnetisch. Gegen 9 Uhr Morgens nahmen Schiffer Hartung und der erste Steuermann Köpcke die Höhe der Chronometerbeobachtung. Mittags wurde eine Sonnenhöhe genommen, doch war die Kimm diesiger als des Morgens; dann rechneten beide das Besteck aus, welches das gleiche Resultat ergab. Da aber die astronomische Beobachtung gegenüber der Loggrechnung eine sehr erhebliche Versetzung ergab, ging Schiffer Hartung nochmals an Deck, um eine Sonnenhöhe zu nehmen. Die Sonne war jedoch schon etwas gefallen. Eine abermalige Nachrechnung ergab wiederum denselben Schiffsort, und nahm Schiffer Hartung hieraus an, das seine astronomische Berechnung richtig sei. Der Curs wurde nun auf S ½ W. S ¾ W. magnetisch bestimmt, und sollte derselbe das Schiff etwa 25 – 30 Seemeilen frei von Cap Verde führen. Falls das Wetter sichtig und schön blieb, wollte Schiffer Hartung Cap Verde wegen Regulierung des Chronometers in Sicht laufen. Nachmittags 4 Uhr bestimmte Schiffer Hartung die Deviation durch Azimuth, welche auf dem gesteuerten Curs 4° Ost ergab. Die Kimm war noch immer diesig. Das Wetter blieb auch mit Dunkelwerden schön, der Wind war leicht aus Osten, man verfolgte den Curs S ½ W. die Maschine arbeitete mit voller Kraft, und machte der „Söderhamn“ ausweise des Patentloggs 9 ½ Seemeilen per Stunde.
Schiffer Hartung hatte die Wache von Abends 8 Uhr bis 12 Uhr Nachts. Nach Hartungs Annahme sollte zwischen 11 und 12 Uhr Cap Verde Feuer, dessen Sichtkreis man eben anlaufen mußte, in Sicht kommen. Als dasselbe um 11 ½ Uhr nicht erblickt wurde, zog sich Schiffer Hartung ins Kartenzimmer zurück, um zu ruhen, in der Annahme, das Feuer sei schon passiert.

Die erste Wache am Sonntag den 4ten Februar von 12 – 4 Uhr Morgens hatte der erste Steuermann Köpcke; außer ihm bestand dieselbe aus dem Zimmermann Svensson und dem Matrosen Greeck. Von 12 – 1 Uhr stand Matrose Greeck am Ruder, Svensson auf Ausguck, von 1 – 2 Uhr Svensson am Ruder und Greeck auf Ausguck, von 2 – 3 Uhr Greeck am Ruder und Svensson auf Ausguck und von 3 – 4 Uhr Svensson am Ruder und Greeck auf Ausguck. Zehn Minuten vor 4 Uhr verließ der Ausgucksmann Greeck die Back, um die andere Wache zu zurren, und auch Steuermann Köpcke verließ die Brücke, um den zweiten Steuermann zum Antritt seiner Wache zu wecken. Matrose Greeck hatte schon vor seinem Fortgehen bemerkt, dass in der Kimm ein schwarzer Streifen zu sehen war. Zu einer Meldung hatte er sich nicht veranlasst gefühlt weil er nicht annahm, dass der Dampfer dicht unter Land wäre, und ihn auch nicht gesagt worden war, dass er gut nach Land aussehen sollte. Auch der am Ruder stehende Svensson sah, als der Steuermann fortgegangen war, voraus einen schwarzen Streifen. Köpcke entdeckte bei seiner Rückkehr nach der Brücke, welche alsbald wieder erfolgt sein soll, dass eine Veränderung in der Kimm vorgegangen sei. Er fragte darauf den Zimmermann Svensson, ob er jenen Streifen für Land hielte, doch wiederholte dieser, so habe die Kimm schon länger ausgesehen. Als Steuermann Köpcke dann auf der Brücke nach Lee hinüber ging, hörte er das Geräusch der Brandung; sofort gab er mit dem Maschinentelegraphen den Befehl „volle Kraft Rückwärts“ und ließ den Svensson das Ruder, welches Handsteuerung hatte, „hart Backbord“ legen. Der „Söderhamn“ hatte eine rechtshändige Schraube, und musste der Kopf des Schiffes jetzt bei rückwärtigem Gang der Maschine nach Steuerbord ausschlagen. Steuermann Köpcke eilte dann sofort nach dem Kartenhaus und rief den Schiffer Hartung heraus, welcher nach unmittelbar darauf auf der Brücke erschien; auch der zweite Steuermann traf dort gerade zum Antritt seiner Wache ein. Im selben Augenblick stieß aber das Schiff (auf Grund). Inzwischen war die zweite Wache an Deck gekommen. Man lothete 16’ Wasser. Nach einigen Minuten, währenddessen das Schiff unter fortwährendem Stoßen in Folge des hart Backbordruders und den rückwärts arbeitenden Maschine 3 ½ Strich nach Steuerbord abgefallen war, saß dasselbe indeß völlig fest. Die See stürzte von Steuerbord hinten über das ganze Schiff hin, zerschlugen das Steuerbordboot und richteten auch sonst noch große Verwüstungen an. Das Schiff schlug dann allmählich hinten nach Backbord aus, und musste, um dasselbe nicht ….. zur See kommen zu lassen, um 4 Uhr 25 Minuten die Maschine wieder gestoppt werden.

Wird fortgesetzt.

mfg Peter Hartung
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Peter Hartung
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Re: Spruch des Seeamts Hamburg zur Havarie der "SÖDERHAMN"

Beitrag von Peter Hartung »

Fortsetzung der Seeamtsverhandlung gemäß Protokoll:

Man lothete jetzt mittschiffs 12 Fuß Wasser. Da die Brechseen fürchterlich über das Schiff hinstürzten konnte zunächst weiter Nichts zur Rettung des Schiffes gethan werden. Gegen Tagwende nahmen die Sturzseen etwas ab, und sah man nur die Küste, welche sich in S.W.z.W. ½W. Richtung hinstreckte, ein paar Seemeilen voraus. Von Cap Verde Feuer war nichts zu sehen. Nach der Karte musste man etwa 15 Seemeilen nordöstlich von Cap Verde gestrandet sein.

Man machte nun das kleine Boot fertig, in welches der erste Steuermann Köpcke, der Passagier Zöllner und zwei Matrosen einstiegen und an Land fuhren, um, wenn möglich, Hülfe von Cap Verde zu holen. An Bord versuchte man bei steigendem Wasser wiederum durch Rückwärtsarbeiten der Maschine abzukommen, jedoch blieben alle derartigen Versuche ohne den geringsten Erfolg. Ein Ausbringen von Ankern nach dem tieferen Wasser hier erwies sich in Folge der hohen Brandung als völlig unmöglich.

Nachts 2 Uhr 30 Minuten am 5ten Februar erschienen die ausgesandten Leute wieder bei der Strandungsstelle, konnten indeß der starken Brandung wegen nicht an Bord geholt werden, was erst am Morgen gelang. Dieselben waren bis 6 Uhr abends in der Richtung nach Cap Verde zu marschiert, ohne dieses gefunden zu haben. Wegen Wasser- und Proviantmangel kehrten sie zurück.
Man beschloss nun, die Effecten und einiges Werthvolle vom Schiff an Land zu bringen, um vereint Cap Verde aufzusuchen, da ohne Hülfe das Schiff nicht abzubringen war. Das Schiff schlug auch mehr und mehr ….., und wurde der Aufenthalt an Bord mit jeder Stunde gefährlicher. Man entschloss sich daher, das Schiff selbst einstweilen zu verlassen. Nachdem mehrere Touren mit den Booten gemacht und Sachen gelandet waren, kamen bewaffnete Neger heran und führten sämtliche Sachen fort.

Die Besatzung erreichte unter großen Beschwerden am nächsten Tage schließlich Dakar. Schiffer Hartung führte in Dakar sogleich bei der französischen Behörde Beschwerde, und versprach dieselbe auch die nöthigen Schritte zur Wiedererlangung der geraubten Gegenstände zu thun.

Nachdem in Dakar die Condemnierung des Schiffes ausgesprochen worden, wurde die Besatzung bis auf den Schiffsjungen, welcher einen anderweitigen Schiffsdienst fand, heimbefördert.
Nach Angaben des Schiffers Hartung sind die beiden mit ihm von Las Palmas ausgegangenen Dampfschiffe in ähnlicher Weise wie der „Söderhamn“ in Strandungsgefahr gerathen. Der holländische Dampfer war am Sonnabend Abend 8 Uhr dicht vor der Landung außerhalb Dakar; der französische Postdampfer gerieth dort fest, und wurde indeß durch den holländischen Dampfer wieder abgeschleppt. Nach Angaben jener fremden Schiffer hatten Stromversetzungen und unsichtige Witterung jene Schiffe in die gefährliche Lage gebracht. Die Strandungsstelle jeder Dampfschiffe befand sich indeß vom Goree.
Schiffer Hartung ist der Meinung, dass eine Stromversetzung die Ursache seiner Strandung gewesen sei.

wird fortgesetzt.

mfg Peter Hartung
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Re: Spruch des Seeamts Hamburg zur Havarie der "SÖDERHAMN"

Beitrag von Peter Hartung »

Fortsetzung der Seeamtsverhandlung vom 8. März 1894 gemäß Protokoll:

Der Reichscommissar führt bei Prüfung des Beweisergebnisses die Strandung des „Söderhamn“ darauf zurück, dass das Schiff durch Strömung nach der Küste vertrieben worden sei und wohl etwas weniger Fahrt über den Grund gelaufen habe, als bei der Navigierung in Rechnung gestellt worden sei. Die Navigierung gebe, abgesehen davon, dass der gesteuerte Curs S½W. das Schiff reichlich nahe an die Küste führte, zu Ausstellung keinen Anlaß. Bei größerer Aufmerksamkeit hätte das Auflaufen des Schiffes aber doch vermieden werden können. Fehler in der Observation seinen nicht ausgeschlossen.

Gründe.

Am Mittag des 3ten Februar befand sich der „Söderhamn“ nach Loggrechnung auf 17°5’N. Breite und 17°40’ W. Länge; nach astronomischen Beobachtungen wurde dagegen gefunden 16°19’ N. Breite und 18°21’ W. Länge. Dies würde eine Versetzung nach S 40°W von 60 Seemeilen in 24 Stunden ergeben. Vom Mittag den 3ten Februar bis zur Zeit der Strandung um 4 Uhr Morgens den 4ten Februar war S.¾ W. (magnetisch) oder S 10°O. (vorher) gesteuert worden und nach der Patentlogge 150 Seemeilen gut gemacht.

Von astronomisch bestimmten Mittagsorte an gerechnet müsste sich das Schiff hiernach um 4 Uhr Morgens auf 13°51’ N.Breite und 17°54’ W.Länge befunden haben, strandete aber auf 14°47’ N.Breite und 17°17’W.Länge. Dies würde eine Versetzung nach N 34°O. von 68 Seemeilen ergeben, also fast genau entgegengesetzt der Versetzung vom vorigen Tage. Eine so auffallende Versetzung von so großem Betrage lässt sich nicht wohl einer Strömung zuschreiben, eine solche ist an jener Küste niemals beobachtet worden, und außergewöhnliche Windverhältnisse, welche ein Abweichen von den in den Segelanweisungen gegebenen Strömungen hätten hervorrufen können, waren nicht vorhanden. Im Gegenteil zeigt sich aus den Unterschieden an den Tagen vorher, dass ganz normale Windverhältnisse stattgefunden haben; die Versetzung beträgt nämlich an den Tagen vorher vom 31ten Januar – 1ten Februar S.21°O. 10 Seemeilen, vom 1ten Februar – 2ten Februar S.13°O. 8,2 Seemeilen, ganz den herrschenden Windverhältnissen entsprechend.

Der Stand des Chronometers war erst in Las Palmas wenige Tage vorher berichtigt worden und die Deviation des Compasses noch am Nachmittage des 3ten Februar für den gesteuerten Curs genau bestimmt. In der That zeigt sich auch, wenn man dem durch Loggrechnung bestimmten Schiffsort am 3ten Februar 17°5’ N.Breite und 17°40’ W.Länge ausgeht, dass der Curs genau auf die Strandungsstelle zuführt. Nach der Loggrechnung würde man sich um 4 Uhr auf 14°37’N.Breite und 17°13’W.Länge befunden haben, also nur 11 Seemeilen von der Strandungsstelle entfernt.

Es erscheint daher in hohem Grade wahrscheinlich, dass in der astronomischen Ortsbestimmung am Mittag des 3ten Februar, sei es durch falsche Beobachtung der Mittagshöhe, oder durch einen Irrthum in dem Ausrechnen der Sonnendeclination aus dem Jahrbuche oder sonst in der Berechnung ein großes Versehen stattgefunden hat.

Schiffer Hartung gibt auf Befragen an, dass die Luft etwas diesig und die Kimm daher nicht ganz rein waren; der hierdurch entstehende Fehler würde allerdings eine größere Mittagshöhe und dadurch eine südlichere Breite ergeben, doch kann dieses unmöglich in einem Betrage von 46’ stattgefunden haben, denn erst bei einem so dichten Nebel, welcher nur gestatten würde, ½ Seemeilen zu sehen, würde bei 5-6 Meter Augeshöhe einen Fehler von 16 Minuten begehen.

Da die Beobachtungen nicht im Journal angegeben und überhaupt verloren gegangen sein sollen, so hat die Untersuchung eine weitere Aufklärung über die Ursachen der großen Differenz in der Breite nicht ergeben.

Schiffer Hartung, dem die Abweichung zwischen der nach Loggrechnung und der aus dem Meridianhöhe berechneten Breite aufgefallen war, will noch einmal an Deck gegangen sein, seinen Sextanten (ein gutes Instrument von der Firma C. Plath) nachgesehen und die bestimmte Höhe richtig befunden haben.

Wie dem auch sein mag, keinesfalls kann die berechnete Breite von 16°19’ richtig gewesen sein, da die Versetzung sich nicht durch eine Strömung erklären lässt, die in solcher Stärke von jener Küste nicht existiert. (68 Seemeilen in 16 Stunden oder 102 Seemeilen in 24 Stunden).

Ist aber die bestimmte Breite nicht richtig gewesen, und es wurde mit dieser fehlerhaften und zu weit zu südlichen Breite die Länge nach der Vormittags gegen 9 Uhr genommenen Sonnenhöhe berechnet, so musste auch diese weit zu westlich ausfallen, (bei einem Fehler von 46’ in Breite um 31’ zu westlich).

Der Irrthum hätte leicht aufgeklärt werden können, wenn Schiffer Hartung am Nachmittage etwa um 3 Uhr abermals eine Sonnenhöhe zur Bestimmung der Länge beobachtet hätte; bei demselben Fehler in der zur Berechnung angenommenen Breite würde die Länge um ebensoviel zu östlich wie Vormittags zu westlich gefunden worden sein. Die richtige Verbindung der Vormittags- und Nachmittagsbeobachtung hätte zweifellos eine genügende Aufklärung über den richtigen Schiffsort gegeben. Dass dies nicht geschehen, muß als ein Mangel an seemännischer Vorsicht entschieden getadelt werden, denn bei einer so auffallenden Differenz zwischen dem nach Loggrechnung und nach astronomischen Beobachtungen gefundenen Schiffswerte darf ein vorsichtiger Schiffer keine Gelegenheit versäumen, einen etwa begangenen Irrthum zu berichtigen, und falls eine solche Gelegenheit sich nicht bietet, muß er seinen Curs doch jedenfalls nach der sicheren Seite hin wählen. In dem vorliegenden Falle hatte Schiffer Hartung indeß eine solche Gelegenheit; wenn er dieselbe aber nicht benutzen zu sollen glaubte, musste er nach den Ergebnissen der Loggrechnung, welche den Schiffsort so erheblich weit nach Land versetzte, vor Allem vorläufig seinen alten Curs weiter fortsetzen, der ihn auch frei von Cap Verde geführt haben würde, und sich nicht ohne Weiteres beruhigen, dass die astronomischen Beobachtungen unter allen Umständen richtig sein müssten. Er durfte ferner nicht, als er bis ½12 Uhr Abends Cap Verde Feuer nicht gesichtet hatte, ohne Weiteres annehmen, Cap Verde sei nun sicher passiert.

Auch dem ersten Steuermann Köpcke, welcher doch am Mittag des 3ten Februar das Besteck mit aufgemacht hatte und über die große Differenz in den gefundenen Schiffswerten unterrichtet war, trifft der Vorwurf, auf seiner Wache nicht scharf genug auf etwaige Veränderungen im Wasser oder der Kimm geachtet zu haben.

wird fortgesetzt.

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Re: Spruch des Seeamts Hamburg zur Havarie der "SÖDERHAMN"

Beitrag von Peter Hartung »

Guten Abend!

Hier kommt die letzte Folge des Seeamtsberichts über die Strandung der SÖDERHAMN im Jahr 1894 vor der westafrikanischen Küste. Leider existiert von dem Dampfer kein Photo.


"Auch dem ersten Steuermann Köpcke, welcher doch am Mittag des 3ten Februar das Besteck mit aufgemacht hatte und über die große Differenz in den gefundenen Schiffswerten unterrichtet war, trifft der Vorwurf, auf seiner Wache nicht scharf genug auf etwaige Veränderungen im Wasser oder der Kimm geachtet zu haben.

In der seeamtlichen Verhandlung trat zwischen den Schiffsleuten, welche während der Nacht das Ruder auf der Brücke bedienten, und über den wachhabenden ersten Steuermann eine Differenz darüber hervor, dass Steuermann Köpcke nach Angaben der Leute auf der auf Backbordseite der Brücke stehenden Leute während der ganzen Wache gesehen habe und ihm dadurch der freie Überblick über die Situation gefehlt habe, während andererseits Steuermann Köpcke für sich jede Verwechselung seiner Pflichten aus jenem Sitzen auf der Brücke in Abrede stellt und vor Allem entschieden bestritt, auf seiner Wache geschlafen zu haben.

Wenn nun auch das Seeamt nach den von dem Steuermann gegebenen Aufklärungen über jenen auf der Brücke befindlichen Sitzplatz und den von dort aus möglichen Ausguck nicht geneigt ist, anzunehmen, dass Köpcke sich einer gröblichen Pflichtverletzung schuldig gemacht hat, so kann es sich doch nicht des Eindrucks verwehren, den offenbar auch jene Schiffsleute gehabt haben, dass es an derjenigen Aufmerksamkeit während jener Nacht fehlte, die angeordnet hätte werden sollen.

Das Seeamt ist daher auch der Ansicht des Reichscommissares, dass bei größerer Aufmerksamkeit die Strandung des Schiffes sich sehr wohl hätte vermeiden lassen.

Es kommt noch hinzu, dass mit der verhängnisvollen Annäherung an die Küste um 4 Uhr Morgens gleichzeitig auch der Wachwechsel zusammen fiel, in Folge dessen sowohl der Ausgucksmann, sowie auch der Steuermann Köpcke, beide zum Auszurren der neuen Wache ihre Posten verließen, und das Schiff somit minutenlang allein der Führung des am Ruder stehenden Zimmermanns überlassen war.

Freilich will der Steuermann Köpcke nach nur kurzer Abwesenheit wieder auf die Brücke zurückgekehrt sein, was ihm auch wohl zu glauben ist, alleine gerade jener mehr oder weniger wichtige Zeitpunkt des Verlassens der Brücke war der kritische, denn nach den Zeugenaussagen unterliegt es keinem Zweifel, dass gerade damals das vorausbefindliche Land zuerst sich den Augen am Horizont deutlicher zeigte. Wären daher der der Ausgucksmann hierin vor Allem der weit mehr unterrichtete Steuermann Köpcke auf ihren Posten gewesen, so würde man einige Minuten früher das Land als solches entdeckt haben, und es dann höchst wahrscheinlich doch noch gelungen sein, das Schiff der drohenden Gefahr zu entziehen. Jedenfalls war das Verlassen der Posten verhängnisvoll, wenngleich solches Verhalten in den an Bord herrschenden Dienst üblich gewesen zu sein scheint. Es zeigt aber den Umstand, dass auf der Wache außer dem Steuermann nur der Rudersmann und Ausgucksmann zur Verfügung waren und zum Purren der neuen Wache ihren Posten verlassen mussten, ein erheblicher Mangel im Schiffsdienst, und muß das Seeamt es aussprechen, dass eine so knappe Besetzung der Wache nicht in Ordnung ist.

Nach der Strandung ist seitens des Schiffers sowie seitens der Mannschaft Alles gethan, was möglich war. Eine Abbringung des Schiffes war unmöglich.

Gez. O. Gossler Dr. --- Koldewey --- J. Meßtorff --- A. Volkertsen ---- Cwoitschewski

Für mit dem Original gleichlautende Ausfertigung

Oetzmann, Protokollführer."

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