Rotterdam - Hamburg mit der Valparaiso Express

[Frau Ti]

Seit einiger Zeit bin ich im Hamburger Hafen ehrenamtlich bei der Seemannsmission tätig, dabei ergeben sich immer wieder nette Kontakte und Freundschaften zu den Seeleuten. Im April schrieb mich ein Kumpel, der als AB auf der Valparaiso Express fährt, an und bat um Hilfe: sie wollten sich Basketball Trikots erstellen lassen, ob ich helfen könne. Ja, warum nicht. Als ich dann im Mai an Bord war um wegen der Maße zu helfen, fragte er mich, ob ich Lust hätte beim nächsten Mal von Rotterdam über London nach Hamburg mitzufahren. Haha, blöde Frage, das wäre schon extrem cool "Wir fragen den Kapitän für dich."
Etwa eine Woche später kam eine Nachricht irgendwo aus dem Nordatlantik: "Der Kapitän sagt, du sollst dich mit dem Hapag-Lloyd Office in Verbindung setzen, du kannst bei uns mitfahren!" Ich kann es kaum fassen. Der Kontakt mit dem Office ist ausgesprochen nett und irgendwann kommt dann auch eine Email vom Kapitän aus Südamerika: "Sie sind herzlich eingeladen!" Ab da hält der Kapitän mich regelmäßig über die voraussichtliche Ankunft in Rotterdam auf dem Laufenden und endlich ist es soweit, der Tag rückt näher, Ankunft und Einstieg in Rotterdam soll der Dienstag sein. Am Montag fahren wir bei bombastischem Wetter nach Amsterdam, mein Mann und mein Sohn wollen mich zum Schiff bringen und den Tag vorher nutzen wir für ein wenig Sightseeing. Am Dienstag geht es dann auf nach Rotterdam, es ist wahnsinnig warm und wir sind froh mit dem Auto unterwegs zu sein Zuerst fahren wir die Immigration in Rotterdam an, wo ich mich abmelde. Im Gegensatz zu unseren deutschen Behörden geht es hier sehr schnell, locker, nett und unkompliziert zu, meine Daten sind noch vom letzten Jahr vorhanden, man wünscht mir eine angenehme Reise und nach 5 Minuten sitze ich wieder im Auto.
Diesmal sehe ich den Hafen von Rotterdam bei Tageslicht, die Größe und all die Raffinerien sind wirklich gigantisch. Aber dafür ist es ja nunmal auch Europas größter Hafen
Obwohl ich nicht zum ersten Mal auf das Schiff gehe und auch nicht zum ersten Mal mitfahre, werde ich kurz vor Maasvlakte plötzlich ziemlich nervös. Hoffentlich klappt am Gate alles und die machen kein Theater wegen des Kindes. Es gibt dort nämlich keine terminaleigenen Shuttles, weswegen wir mit dem eigenen PKW angemeldet sind. Und hoffentlich sind die auf dem Schiff nett, eigentlich kenne ich doch gar keinen dort, außer den AB ein wenig. Was einem so kurz vorher halt so durch den Kopf gehen kann
Aber auch am Gate ist alles sehr nett und problemlos, auch wenn der Mitarbeiter zuerst dachte, dass wir alle mitfahren und unser Auto auf dem Schiff verladen wird Wir bekommen eine Wegbeschreibung zum Kai und ich staune über die Ampeln auf dem Terminal - sowas gibt es bei uns in Hamburg nicht
Und da ist es dann, "mein" Schiff mit 333 m Länge, 48 m Breite und 10.500 TEU. Jetzt bin ich RICHTIG nervös

[Frau Ti]

Wir werden schon erwartet, oben an der Gangway winken mein Kumpel und sein Kollege. Da ich ziemlich viel Gepäck dabei habe (aber nicht alles für mich ), "laufe" ich erstmal ohne alles nach oben und bitte um Hilfe. Die beiden Jungs lassen auch gleich alles stehen und liegen und laufen in einem Tempo die Gangway runter, dass ich nicht hinterher komme. Mein Kumpel fragt, ob Mann und Kind mit hoch kommen wollen, er würde dem 2. Offizier Bescheid sagen und eine Führung durch das Schiff arrangieren. Einer schnappt sich meinen Koffer, der andere den Karton mit den Trikots und die Tüte mit den Mitbringseln und ich muss nur noch meine Jacke mitnehmen Dann geht's erstmal in's Captains Office und der Kapitän stellt sich vor, begrüßt uns und kassiert meinen Reisepass ein. Dann gehen mein Mann und der Sohn mit dem Navigation Officer (Filipino) los und ich werde vom Safety Officer (Deutsch)"verhaftet" zur Sicherheitseinweisung. Ich muss schmunzeln als er sagt, dass er manchmal gar nicht auf die deutschen Begriffe kommt - genau so geht es mir auch immer, wenn wir in Hamburg mal auf deutsche Seeleute treffen
Danach bekomme ich meine Kammer auf dem D-Deck mit unverbautem Blick nach vorne zugewiesen. Für die nächsten Tage bin ich also der Messman

(ich weiß nicht, warum mein Laptop das Handy-Bild so blöde übernommen hat... eigentlich hatte ich das zugeschnitten und bearbeitet *hmpf*)

[Frau Ti]

Nachdem ich mein Gepäck abgestellt habe, gehe ich runter auf das B-Deck wo sich die Messen und Galley befinden. Ich stecke den Kopf in die Galley und sage dem Koch und Steward Hallo und dann gibt es ein großes Wiedersehen - der alte Steward geht morgen nach Hause und den neuen kenne ich von der Glasgow Express aus dem letzten Jahr. In der Zwischenzeit treffen auch Mann und Kind mit dem 2. Offizier ein. Die waren bereits auf der Brücke und wollen nun in den Maschinenraum, da schließe ich mich gleich mit an



Dann wird uns noch der Basketball-Platz gezeigt und einer der Laderäume unterhalb der Ladeluken - das konnte ich bisher auch noch nicht "von unten" sehen und das ist schon echt groß, unter den Ladeluken passen 8 Containerreihen

[Frau Ti]

Als wir durch sind, beschließt mein Mann, zeitnah los zu fahren. Immerhin brauchen sie ca. 7 Std. nach Hause und auf dem Weg zum Terminal war auf der Gegenfahrbahn Stau. Ich nutze die Gelegenheit, vor dem Abendessen nochmal schnell zu duschen
Als es dann Zeit zum Essen ist, werde ich vom Steward an einen Tisch gesetzt. Dann kommt der Kapitän und sagt "Sie müssen da nicht so alleine sitzen, kommen Sie mal mit an unseren Tisch!" Dann erklärt er, dass er seine Familie an Bord hat, die aber zur Zeit noch in Rotterdam unterwegs sind, und deswegen normalerweise an dem anderen Tisch sitzt, ich kann die nächsten Tage also an seinem Platz sitzen. Diesmal bekomme ich den Platz vom Chief Ingenieur, der noch im Maschinenraum beschäftigt ist. Es gibt Pasta, ein Alptraum mit weißer Bluse aber im Gegensatz zum Kapitän schaffe ich es, mich nicht zu bekleckern - und ihn macht es noch ein Stück mehr sympathischer Wir unterhalten uns über die Seemannsmission, was ich da so mache, warum er nie jemanden an Bord sieht wenn sie in Hamburg sind usw. Dann sagt er, dass ich mich auf dem Schiff frei bewegen kann und auch beim Ein- und Auslaufen gerne auf der Brücke sein darf, ich bräuchte nicht fragen. Sollte ich etwas brauchen, soll ich Bescheid sagen, sollte ich in London an Land gehen wollen, würde er versuchen was über den Agenten zu erreichen. Und gegen 20 Uhr soll ich doch mal an die Bar kommen, da würden sie sich alle treffen.
Dann schaue ich mir die Crewliste einmal an: Kapitän, 1. Offizier, Safety Officer und 2. Ingenieur sind Deutsch, es gibt einen Technischen Offiziersanwärter, der Chief Ingenieur ist Pole und der Rest der Crew Filipinos.
Gegen 20 Uhr gehe ich wieder runter in die Offiziersmesse, lerne die Frau des Kapitäns kennen und dann gibt es zu 80er Videos über Beamer Wein und Kurze und Rum Gegen 1 Uhr krieche ich dann angeduselt in mein Bett - ich hatte es ja nicht so weit

[Frau Ti]

Am nächsten Morgen erfahre ich beim Frühstück, dass wir voraussichtlich gegen 21 Uhr ablegen werden. Nach dem Frühstück fragt mich mein Kumpel, ob ich Lust hätte das Schiff zu sehen. Auf der Brücke war ich noch nicht, also verabreden wir uns für 10 Uhr im Crew Recreation Room, versacken dort erst bei einem Film und gehen dann hoch, um in Gespräche zu versinken. Draußen wird in brüllender Hitze emsig gearbeitet, drinnen ist es durch die Klimaanlage fast ein wenig kalt.

[Frau Ti]

Nach dem Mittagessen gönne ich mir den Luxus eines Mittagsschlafes um dann beim Abendessen zu erfahren, dass wir in einer halben Stunde auslaufen werden. Also schlinge ich schnell das Essen runter und gehe auf die Brücke - just in time Der Lotse ist bereits da und alle sind abfahrbereit. Der Ausblick von der Brücke auf den Kai ist atemberaubend - Höhenangst sollte man hier nicht haben



Die Milan Express wirkt von hier oben direkt winzig



Wir werden von den Schleppern rückwärts raus gezogen und dann draußen gedreht, wo wir erst die einlaufenden Schiffe abwarten müssen bevor wir raus können

[Frau Ti]

Um 20 Uhr übergibt der Kapitän dann an den Navigation Officer. Ich beschließe hier zu bleiben, der 2. Officer scheint es sehr zu begrüßen und die Zeit vergeht wie im Flug während wir in einen wunderschönen "romantischen" Sonnenuntergang fahren und uns unterhalten. Um Mitternacht wird er vom Safety Officer abgelöst und fragt mich, ob ich Lust auf einen Wein habe - oh Mann, schon wieder! Aber warum nicht, ich muss ja nicht fahren und wir gönnen uns ein paar Gläser frisch aus Chile importierten Rotwein aus dem Tetrapack, der es ziemlich in sich hat

[Frau Ti]

Die Nacht war wieder kurz und ich habe tatsächlich gefroren. Frühstück fällt für mich heute aus, ich brauche bloß viel Kaffee... Also hole ich mir einen auf dem B-Deck, sage dem Steward dass ich heute nicht frühstücken mag und gehe mit meinem Kaffee auf die Brücke. Der Kapitän begrüßt mich, wir sind kurz vor London Gateway. Ich gehe raus und mich trifft fast der Schlag, es ist eine Affenhitze draußen. Die Lotsen erzählen, dass sie heute und morgen die heißesten Tage erwarten, die jemals in London gemessen wurden. Na dann... Mag man bei so einem Wetter raus gehen?



Aber nach dem Anlegen habe ich doch irgendwie Hummeln im Hintern. Beim Mittagessen ist die Stimmung etwas angespannt. Zuerst hieß es, dass wir bereits Freitag Nacht in Hamburg einlaufen sollen, eine halbe Stunde später war die neuste Meldung Sonntag Mittag. Da die Europäer in Hamburg nach Hause gehen, sind sie über die Verzögerung natürlich not amused. Ich frage, ob irgendwer an Land gehen mag, die Frau des Kapitäns und die Kinder dürfen nicht, da der Betreiber des Terminals es untersagt dass Kinder unter 16 Zugang zum Terminal haben. Aber der 2. Ingenieur sagt, dass er überlegt nach London zu fahren und verspricht, mir dann Bescheid zu geben, er müsse erst noch etwas fertig machen, würde aber zwischen 14 und 15 Uhr dann Zeit haben. Allerdings ist er sich noch nicht sicher, da wir voraussichtlich gegen 2 Uhr nachts wieder ablegen werden.



Ich bin gerade auf Kammer und hatte mich auf mein Bett gelegt als das Telefon klingelt. "Ja, der TOA, ich habe vom 2. Ingenieur gehört dass Sie gerne nach London möchten, ich würde gerne mitkommen, der 2. wird nicht gehen." Wir verabreden, dass er mir Bescheid gibt wenn er seine Arbeit fertig hat und wir dann sehen, wie wir nach London kommen. Gerade wieder hingelegt, klingelt schon wieder das Telefon: "Ja, 2. Offizier hier, die Deutsche Seemannsmission ist an Bord, wenn Sie die sehen wollen, sollten sie ins Ships Office kommen." Also beschließe ich, die deutschen Kollegen aus London kennenzulernen und sie nach Möglichkeiten auszufragen wie wir am besten nach London kommen. Sie bieten an, uns am Bahnhof abzusetzen, von dort fährt die Bahn ca. 45 min. Zurück müssten wir dann, je nach Ankunftszeit aber ein Taxi vom Bahnhof zum Schiff nehmen. Der TOA kommt dazu und beschließt eine Nachtschicht einzulegen und seinen Schreibkram zu erledigen wenn wir wieder da sind - mit der Seemannsmission zum Nahnhof zu kommen, ist gerade verlockender Uns wird gesagt, dass die Security am Gate sehr streng ist, Taschen- und Körperkontrolle beim raus- und reingehen. Manchmal ist es von Vorteil, eine Frau an Bord zu haben Am Gate ist gerade keine Frau verfügbar, also wird nur kurz in den Rucksack des TOA geschaut und wir sind frei
Danach genießen wir London bei Bullenhitze, genehmigen uns einen Coktail in einer Bar, der TOA besorgt noch kleine Andenken für die Crew und dann sind wir gegen Mitternacht wieder zurück auf dem Schiff. Man hatte beim "einchecken" leider wieder keine Frau da Naja, zu verbergen hätten wir eh nichts gehabt.
Diesmal verzichte ich darauf beim Auslaufen dabei zu sein, es ist dunkel und ich bin ziemlich müde. Dadurch dass der Aufbau weit weg von der Maschine ist, merkt man auch nicht wie der Motor angeworfen wird. Als ich wieder aufwache, sind wir bereits wieder auf See

[Frau Ti]

Auf dem Weg von Südamerika nach Rotterdam gab es ein Basketballturnier. Heute soll die Preisverleihung stattfinden und eine Fotosession mit den neuen Trikots. Alle sind schon aufgeregt, die ersten Selfies geistern schon seit 2 Tagen durch Facebook Nach dem Mittagessen gehe ich auf die Brücke wo mein Kumpel gerade on duty ist. Der Navigation Officer plant gerade die Route.





Ich unterhalte mich mit meinem Kumpel, der Kapitän kommt dazu und wir nehmen ihn ein wenig auf's Korn. Er als Organisator der Trikots wird sicher auf die Titelseite des Hapag-Lloyd Magazins kommen. Ich rate ihm dazu, sich anständig zu frisieren. Der Kapitän schmunzelt - die Stimmung hier an Bord zwischen Schiffsführung/Offizieren und dem Rest der Crew ist wirklich sehr angenehm.
Dann gehe ich mit dem Navigation Officer zum Basketball-Platz. Alleine hätte ich den Weg nicht mehr gefunden, das Schiff ist doch sehr groß Hier unten ist es wahnsinnig laut, ich kann trotz Mikrofon nur die Hälfte verstehen und es ist schrecklich heiß. Es folgen viele Fotos und einige spielen noch eine Weile.



Ich gehe anschließend wieder auf die Brücke und wieder vergeht die Zeit mit dem Navigation Officer wie im Flug. Man merkt, dass sie es ganz nett finden dass mal jemand fremdes an Bord ist mit dem sie über private Dinge quatschen können.



Kurz vor Mitternacht kommen der Safety Officer und der Kapitän auf die Brücke. Wir nähern uns der Elbe, in ein paar Minuten kommen die Seelotsen an Bord. Vor uns fährt die Aida Prima, bunt blinkender Partydampfer. Ich scherze mit dem Offizier ein wenig herum, der mal eine ganz kurze Zeit für Aida gefahren ist - und das nicht mehr machen möchte Kurz vor Mitternacht übergibt der der Navigation Officer an Kapitän und den anderen Offizier und fragt mich, ob ich mit runter kommen und die Lotsen in Empfang nehmen möchte. Klar!
Erst geht es Richtung Maschinenraum und dann eine lange Leiter durch ein Mannloch hinab in einen kleinen Raum. Die Öffnung ist nicht weit über der Wasserlinie, die Jakobsleiter wird nur ein kleines Stück ausgelegt. Nicht wie bei mir damals, als ich einmal bei den Lotsen mitgefahren bin und 12 Meter Leiter absteigen musste Das Lostenboot kommt Längsseits und die Lotsen können so übersteigen. Man merkt, dass wir wieder in Deutschland sind - die Lotsen sind nicht besonders gesprächig und wirken auch nicht außerordentlich freundlich Nachdem sie oben abgeliefert wurden, fragt mich der Zweite nach einem Wein - klar! Der Kapitän gibt mir noch mit auf den Weg, dass wir gegen ca. 7 Uhr in Hamburg ankommen werden, falls ich früh aufstehen und den Sonnenaufgang auf der Elbe erleben möchte

[Frau Ti]

Es ist früh. Verdammt früh. Aber als ich auf die Brücke komme, bin ich froh, dass ich wenigstens etwas geschlafen habe. Der Kapitän sitzt dort immer noch und man sieht ihm den Schlafmangel an. Ich bekomme erstmal einen Kaffee von meinem Kumpel



Es kommen die markanten Hochspannungsmasten kurz vor Hamburg



Und dann kann man den Hamburger Hafen sehen



Die Elblotsen werden gegen die Hafenlotsen getauscht und wir kommen an deren "Heimat" vorbei - Lotsenhaus und Oberhafenamt



Vorbei geht es am Eurogate und dem Bukai



Und die Köhlbrandbrücke taucht auf