diesmal folgt wieder ein Reisebericht aus der Binnenschifffahrt. Ein schon Besonderer, der von einem besonderen Schiff handelt.
Gesehen vom Ursprungsbaujahr 1886 ist es nun das älteste Fahrgastschiff Berlins, gefolgt von der HEINRICH ZILLE (1896, noch mit Nieten am Rumpf).
Ich dachte ich mache daraus einen dritten Teil meiner saisonalen Bildreihe, mit der ich im Oktober 2021 anfing.
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~ ~ ~ Geschichte, Vergangenheit, Zukunft ~ ~ ~
Doch lasst mich zunächst etwas zu seiner Geschichte niederschreiben, wenn auch nur von anderen Quellen zusammen getragen.
Leider gestaltet sich die Nachforschung etwas schwierig, da es unterschiedliche Quellen mit teils verschiedenen Angaben gibt.
Als Quellen ziehe ich folgende heran.
→ https://www.berliner-dampfer.de/html/ka ... drich.html
→ https://www.ddr-binnenschifffahrt.de/db ... Id=4003083
Vom Stapel lief die damalige KAISER FRIEDRICH III 1886 bei den Stettiner Oderwerken und hatte fünf weitere Schwestern.
Wenige Jahrzehnte später erfolgen am Schiff Umbauten, die mit Änderungen an Bug und Heck und einer festen Überdachung einhergingen.
Auch im damaligen Breslau fand sie Beschäftigung, ehe sie 1926 oder 1929 ab Freienbrink nahe Erkner (bei Berlin) wieder in Fahrt kam.
Ab da an trug sie den neuen Namen SIEGFRIED.
Um das Jahr 1944 war sie für einpaar Jahre als BVG-Personenfähre im Einsatz.
Sie war bis 1965 oder 1967 noch als Dampfschiff auf West-Berliner Gewässern in Fahrt und wurde dann aufgelegt.
1968, zum 80. Jubiläum der Stern und Kreissschifffahrt, wurde der fahrunfähige Dampfer für die Gastronomie an einen der Wannsee-Anleger geschleppt.
Fortan wurde sie als Büro- und Wohnschiff genutzt, bis sie 1987 an das Deutsche Technikmuseum in West-Berlin verkauft wurde.
Zur Maschinenanlage sei gesagt, dass es zwei unterschiedliche Angaben gibt.
Eine besagt: die originalen Dampfmaschinen wurden 1972, 1991 bzw. 2022/2023 entfernt.
Die Zweite: erst bei der Rekonstruktion 1991 bis 1993 wurden zwei Hochdruckmaschinen mit Ölfeuerung eingebaut.
Im Zuge des Umbaus auf Elektroantrieb wurde von der Warte aus alles entfernt.
Springen wir in die Nachwendezeit. Wie erwähnt wurde das Schiff optisch weitgehend in seinen Ursprungszustand zurückversetzt.
Nach der Rekonstruktion erhielt es seinen jetzigen Namen: KAISER FRIEDRICH.
Ab 1994 wurde sie in Charter bei der Stern und Kreisschifffahrt für Stadtrundfahrten eingesetzt, Eigentümer war immer noch das DTM Berlin.

Januar 2009. Beim Winterschlaf im Treptower Hafen abgelichtet.
Aus wirtschaftlichen Gründen (zu hohe Treibstoffkosten) wurde die KAISER FRIEDRICH mit Saisonende 2012 ausser Dienst genommen und aufgelegt.
→ 11/2012: https://www.qiez.de/bootstour-in-berlin ... -fahrt-ab/ (mit Bild aus dem Maschinenraum)
→ 09/2013: https://www.berliner-woche.de/tiergarte ... bau_a35726
Von da an fiel sie in einen neun Jahre andauernden Dornröschenschlaf für den sie erst nach Friedrichshagen und zuletzt nach Tiergarten verlegt wurde.
Unregelmäßig fuhr ich mit der S-Bahn vorbei und sah sie da traurig liegen, bis ich mir im Juli 2021 einen Ruck gab und einpaar Aufnahmen machte.


Bereits ein Jahr nach diesen Aufnahmen fand sich ein Käufer und dieser verschleppte sie nach Sachsen-Anhalt nach Genthin in die Werft.
Da die alten Maschinen kaputt waren oder bei Funktion ein wirtschaftlicher Betrieb nicht möglich gewesen wäre, erhielt das Schiff einen Elektroantrieb.
Dazu einige Artikel.
→ 03/2023: https://technikmuseum.berlin/pressemitt ... geruestet/
→ 05/2023: https://www.berliner-woche.de/mitte/c-w ... tet_a38057
→ 06/2023: https://www.bvt-bremen.de/news/beitrag? ... 4ed47f446e
→ 10/2023: https://www.volksstimme.de/lokal/genthi ... lt-3717015
So ja, na gut, ja … dann wollen wir mal zur Tat schreiten!
~ ~ ~ Tag 1/1 ~ ~ ~ Überführungsfahrt ~ ~ ~
Die Stadt Genthin liegt am Elbe-Havel-Kanal nahe der westliche Grenze Brandenburgs zu Sachsen-Anhalt.
Ich legte die Anreise auf den Vorabend nach der Arbeit, genächtigt wurde in einer Pension in der Nähe der Werft.
Eine Anreise am selben Tag wollte ich mir wirklich nicht antun


Im Morgengrauen fanden wir uns am Werftkai ein.

Seht Ihr unten einen der glänzenden Propeller?!
~ ~ ~ Linie: Genthin – Brandenburg – Ketzin – Potsdam Nord – Wannsee – Spandau – Westhafen – Historischer Hafen ~ ~ ~
~ ~ ~ Schiff: KAISER FRIEDRICH (1886/1993) ~ ~ ~

Klar ersichtlich, der Flaggenschmuck, der von der Werft angebracht wurde. So sollte es standesgemäß nach Berlin gehen!
Eine Reporterin der lokalen Presse war auch vor Ort und machte Bilder und führte Interviews.
Das Endergebnis kann sich zusammen mit dem Video schon sehen lassen (siehe weiter oben).
Gegen 07:45 Uhr wurden die Leinen los geworfen. Rund 103 Kilometer lagen vor uns und die Fahrt bis Berlin sollte einen halben Tag dauern.

Wir befuhren den Elbe-Havel-Kanal zu Berg.



Ein großes Kajütboot begleitete uns. Es soll in diesem Bericht noch eine entscheidene Rolle von hoher Wichtigkeit spielen.

Die erste Schleuse war in Wusterwitz.




Dahinter erstreckte sich der Wendsee …

… an dessen Engstelle zum Plauer See die Seegartenbrücke dort die Orte Kirchmöser und Plaue verbindet.

Nach ihrer Unterquerung waren wir auch schon auf dem Plauer See (https://www.seen.de/plauer-see/).

In südöstlicher Richtung hinter der Halbinsel Wusterau (https://de.wikipedia.org/wiki/Wusterau) die Stadt Brandenburg in Sichtweite.
Genau genommen können wir hier das Elektrostahlwerk (https://www.brandenburger-in.de/tpb/Industrie/Stahl.htm) sehen.
Etwas weiter in Richtung der Stadt befindet sich das Industriemuseum (https://www.stadt-brandenburg.de/kultur ... triemuseum).
Stahl – ohne ihn wäre damals moderner Schiffbau vor über 100 Jahren nahezu undenkbar gewesen.
Welche Schiffe - aus Brandenburger Stahl gefertigt - noch heute fahren


Ein letzter Blick zurück, bevor wir dem Silokanal folgten.

Direkt am Stadthafen Brandenburg befindet sich die Halle des Industriemuseums.




Wir hatten nun die Vorstadtschleuse in Sichtweite, steuerbordseitig zweigte der Kleine Beetzsee ab.

Ganz klein zu erkennen: der Dom zu Brandenburg (https://www.dom-brandenburg.de/der-dom/).


Ein Kumpel von mir überführte am gleichen Tag wie wir sein kürzlich gekauftes Boot nach Berlin.
Ab Genthin war er achteraus und zwischenzeitlich durfte ich umsteigen. So durfte auch ich mal sein 1964 gebautes Stahlboot fahren.
So saß ich die nächsten rund 15 Kilometer am Steuerrad.
Die KAISER FRIEDRICH war schon flott unterwegs und erst auf dem Trebelsee westlich von Ketzin konnte ich wieder umsteigen.

Auf dem Trebelsee übernahm mein Kumpel wieder und ich konnte die Gelegenheit für Fotos nutzen.

So fuhren wir erst mal eine Runde.

Ein Prachtstück! Oder?


Alles Gute ist ja bekanntlich nie beisammen.

So folgten wir weiter der Havel.




Zwischenzeitlich sah ich mich unter Deck im vorderen Salon um.

Ist wirklich ganz ansehnlich. Die Decke wurde z.B. neu gestrichen und die Polster der Bänke mit marineblauem Samt bezogen.
Wobei man sagen muss, dass die Inneneinrichtung leider nicht mehr original von 1886 sein kann.
Zudem wurde das Schiff um 1910/1914 umgebaut und von 1991 bis 1993 in Dresden-Laubegast zu seinem ursprünglichen Aussehen rekonstruiert.
Aus der Zeit müsste die Einrichtung stammen.

Nach der Passage des Sacrow-Paretzer-Kanals ließen wir den Ort Nedlitz achteraus liegen und befanden und schon nördlich von Potsdam.



Als nächste Landmarke kam die Meierei (https://www.potsdam.de/de/meierei-im-neuen-garten) ... ,

... das Casino Glienicke (https://www.spsg.de/schloesser-gaerten/ ... glienicke/) und die Glienicker Brücke in Sicht.

Mit Sicht auf die Sacrower Heilandskirche (https://www.spsg.de/aktuelles/ausstellu ... -paradies/) schrammten wir an der Berliner Stadtgrenze entlang.

Schon waren wir auf Höhe des Grunewaldturms ...

... und wenig später bereits in der Havelmündung südlich von Pichelswerder.

Wir folgten weiter der Havel zu Berg und hatten am linken Ufer den Spandauer Südhafen.

Kaum noch einer von uns wollte bei dem Wetter draussen sein. So verbrachte ich die Zeit am Fenster im ehemaligen Maschinenraum.
Durch die Demontage der beiden alten Maschinen (Original oder Ersatz) entstand viel Platz.

In Spandau bogen wir in die Spree ein, an deren rechten Ufer das Kraftwerk Reuter (https://industriekultur.berlin/ort/kraftwerk-west/) steht.

Einen Spant konnte ich finden, an dem mutmaßlich Nieten zu finden waren.
Doch beim genauen Hinsehen erschleicht einem die Ernüchterung in Form von „Ziernieten“. Eine andere Begrifflichkeit fällt mir nicht ein

Von aussen ist erst mal nichts zu sehen, was auf echte Nieten schließen könnte.
Bei Gelegenheit werde ich mir den Bugsteven ganz genau ansehen


Das Ruder wird doch tatsächlich noch mit Ketten, Stangen und Rollen bewegt, siehe unter der Reling.
Allerdings kann eine hydraulische Unterstützung zugeschaltet werden. Unser Kollege wollte jedoch „auf Kette“ fahren.

Irgendwann kam dann ...

... die vorletzte Schleuse des Tages in Sicht.


Am Westhafen ging es auch vorbei. Was war das für ein großartiger Hafengeburtstag!

Bald geschafft ... hier: Humboldthafen am Hauptbahnhof. Der Tag machte sich bemerkbar.
Im Humboldthafen hatte die historische Flotte der Berlin-Brandenburgische Schifffahrtsgesellschaft e.V. nach der Gründung 1990 ihre Liegeplätze.
Während der Vorbereitungen des Baus des Hauptbahnhofs mussten alle Schiffe und Kähne in den Spreekanal nahe der Fischerinsel verlegt werden.



In der Mühlendammschleuse begegnete uns noch die CAPT. MORGAN, die in Richtung Feierabend unterwegs war.

Nach rund 12 Stunden kamen die Hochhäuser der Fischerinsel, das Märkische Ufer und natürlich der Historische Hafen in Sicht.
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Ein langer Tag war es wirklich. Doch wann hatte man denn genau so eine Gelegenheit?
Trotz des Wetters zum Ende hin war es ein Vergnügen.
Bis zur neuen Saison 2024 werden noch restliche Arbeiten abgeschlossen.
Sonst bin ich schon auf die nächste Saison gespannt, wenn der Kaiser durch Berlin „stromert“.
Vielleicht ist sein Schornstein im nächsten Jahr beim Andampfen dabei. Vom Bild her würde es natürlich vortrefflich passen

Aber nun kehrt erstmal etwas Ruhe auf der Spree ein - vielleicht werde ich mal Ausschau halten, wenn wieder was Schönes durch die Stadt tuckert.
Grüße rundum,
Johannes