SBVO

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AnkerM
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SBVO

Beitrag von AnkerM »

Moin,

unter dem sperrigen Namen verbirgt sich die "Schiffsbesetzungsordnung / SBVO".

Nach der letzten maritimen Konferenz wurden etliche langjährig vom VDR (Verband dt. Reeder) geforderte Unterstützungen gewährt bzw. sind in der Umsetzungsphase und stehen bald an.
Die wohl stärkste Schiffahrtsförderung der letzten Jahre ist die sog. "Tonnagesteuer", eine ebenso günstige wie niedrige Steuer, auf die dt. Reedereien mit Schiffen im internationalen Verkehr optieren können ... und dies natürlich auch zu fast 100 % tun. Zusammen mit anderen Förderungsinsturmenten ist die Tonnagesteuer ein starkes Unterstützen unserer Seeschiffahrt. Tatsächlich hat unser oft und viel gescholtener Staat in den letzten Jahren sehr viele administrative und monetäre Instrumente aufgelegt, um die dt. Seeschiffahrt zu stützen, als da (u.a.) sind:

Zweitregister, "Flexibilisierung" der SBVO im Zweitregister, Tonnagesteuer, Abschaffung des Seefahrtbuches und der Musterung, Einbehaltung der Lohn- bzw. Einkommenssteuer der Seeleute durch den Reeder als direkte Schiffahrtsförderung (jüngst von 40 % auf 100 % gesetzt), Unterstützung bei den Sozialversicherungsbeiträgen u.a. mehr (in loser Folge und ohne Anspruch auf Vollständigkeit).

Nun ist das alles natürlich kein Selbstzweck, sondern soll unsere Seeschiffahrt als strategische Schlüsselindustrie stützen. Und da kommt die o.a. SBVO ins Spiel, die nämlich neben der Besetzung der Schiffe unter dt. Flagge auch vorschreibt, wie viele Positionen an Bord mit deutschen oder EU-europäischen Seeleuten besetzt werden müssen.

Nun hat der VDR sich vor dem Hintergrund der Fülle von Schiffahrtsförderungsinstrumenten bedankt und angekündigt, im Gegenzug nun auch strikt auf die Besetzung mit bis zu fünf (!) deutschen oder EU-europäischen Seeleuten zu achten ... HA, HA, SCHERZ :lol: !
Nein, das hat der VDR ganz gewiss nicht getan; im Gegenteil wird aufgrund eines Erlasses des Bundesverkehrsministers in Zukunft die vorgeschriebene Anzahl deutscher oder EU-europäischer Seeleute von bis zu fünf auf höchstens zwei heruntergesetzt! Die Beschäftigung eines Schiffsmechanikers ist auch nicht mehr vorgesehen.

Eine SEEfahrtsförderung durch unseren Staat also, die die Beschäftigung u./o. Ausbildung eigener SEEleute für obsolet erklärt ... Hammer!

Meine Meinung: eine Schiffahrtsförderung, die die Beschäftigung eigener Seeleute nicht (oder nur in "homöopatischen Dosen") einfordert, taugt nichts, die können die in Berlin sich in die Haare schmieren!

Man kann den handelnden Personen des Politikbetriebes noch am Ehesten zu Gute halten, daß sie die Reichweite ihres Handelns nicht erfassen. Ich erlebte sowohl die Einführung des Zweitregisters, als auch die bereits einmal durchgeführte "Flexibilisierung" des SBVO an Bord ... immer kam es zu Austauschkündigungen guter Kollegen gegen Billigseeleute. Das ist zwar de facto illegal, aber welcher Seemann lässt sich schon auf einen Arbeitsgerichtsprozeß gegen eine Reederei ein, das geschieht kaum!

Diese Neuordung der SBVO ist tasächlich dazu angetan, den "Homo Nauticus Germanicus" aussterben zu lassen!
RonnyM
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Re: SBVO

Beitrag von RonnyM »

...danke AnkerM, dass war ja eine interessante Abhandlung.
Ich wundere mich immer wieder, wie wenig sich die Bonzen in Berlin um die Seewege irgendwelche Sorgen machen. Als größter Exporteur in der EU sollte man doch die Sicherung der Wege im Auge haben. Aber schon die Schrumpfung der Deutschen Marine von ehemals 35.000 auf jetzt gerade mal 15.000 Soldaten und auch an Land und in der Luft sieht es nicht besser aus, zeigt doch, dass eine schwarze Null wichtiger ist. Der Rest wird an die Wand gefahren. :evil:

Grüße Ronny
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O. Hansen
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Re: SBVO

Beitrag von O. Hansen »

Förderung der Seefahrt heißt nunmal Förderung der (Gewinne der) deutschen Reedereien...
Typische Lobbyarbeit unserer Tage! :roll:
Grüße von der Elbe...
Oliver
muschelschubser
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Re: SBVO

Beitrag von muschelschubser »

Nachdem ja nun der VDR und der Bundesverkehrsminister die Änderung der Schiffsbesetzungsverordnung
-ich schreibe es jetzt mal bewusst provokativ -
ausgekungelt haben,
gewinnt die Online-Petition an den Deutschen Bundestag vom 09.11.2015 jetzt stark an Bedeutung.

Unabhängig von den hier bereits geschilderten Sachverhalten, geht es nicht nur um den Fortbestand des Deutschen Seemannes,
sondern z.B. infolgedessen auch um den Fortbestand der Hochschulen, Fachochschulen, Fachschulen, Ausbildungsstätten, berufsbildenden Einrichtungen etc.

Nur als ein Beispiel, die aktuelle Situation bei den Schiffsmechanikern
(einem staatlich anerkannten Ausbildungsberuf mit dreijähriger, dualer Berufsausbildung. Der Schiffsmechaniker ist auch eine der Einstiegsmöglichkeiten in die weitere Qualifikation zum Kapitän oder Leiter der Maschinenanlage)
Jeder SM Ausbildungsplatz wird mit einem fünfstelligen Eurobetrag gefördert. Ein SM-Azubi mit bestandener Zwischenprüfung und den erreichten erforderlichen Stunden in den unterschiedlichen Ausbildungsbereichen an Bord, darf gem. SBVO als Schiffsmechaniker-Ersatz an Bord fahren.
In der geänderten SBVO wird der Schiffsmechaniker nicht mehr als Besatzungsmitglied gefordert.
Welcher Reeder wird dann noch zum SM ausbilden, wenn dieser an Bord nicht mehr "vorgeschrieben" ist?

Wir alle sollten uns überlegen, ob wir die Petition nicht mitzeichnen und damit Solidarität mit unseren Seeleuten zeigen.

Die Petition ist hier zu finden:
https://epetitionen.bundestag.de/petiti ... 70.nc.html

Weiterführende Infos gibt es beispielsweise hier:
http://www.waterkant.info/?p=4377

Die gemeinsame Presseerklärung vom VDKS, der VDSI und ver.di, zu diesem Thema ist hier nachzulesen
http://www.verdi.de/themen/nachrichten/ ... 540059119e
Beste Grüße
vom Muschelschubser
Kaheiroe
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Re: SBVO

Beitrag von Kaheiroe »

Die finanzielle Gier der Reeder ist nicht mehr zu überbieten. Sie wollen die deutsche Seeschiffahrt kaputt machen, denn für die deutschen Seeleute gibt es dann kaum noch Möglichkeiten weder eine Ausbildung anzufangen, noch fortzuführen, noch zu beenden, denn die vorgeschriebenen Fahrtzeiten können nicht mehr absolviert werden. Auch gibt es dann keine Jobs mehr im Sekundärbereich wie Lotsen, Schiffahrtsbehörden, Inspektoren, etc.
Im maritimen Bündnis wurde auch die Verdi ausgebootet, deshalb gemeinsame Presseerklärung mit VDKS und VDSI.

Aus diesem Grunde darf ich alle Seeleute bitten, die Petition (o.g.) bis zum 6.1.2016 zu unterzeichnen.

Vielen Dank im voraus und beste maritime Grüße
Kaheiroe
AnkerM
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Re: SBVO

Beitrag von AnkerM »

Ich freue mich, daß hier viele meine Ansicht teilen.

Aber bitte ... lasst uns nicht "das Kind mit dem Bade ausschütten"!
Natürlich gibt es eben auch jene seemännisch wertvoll handelnden Reeder, die neben der absolut notwendigen betriebswirtschaftlichen Betrachtung auch Arbeit und Ausbildung unserer Seeleute im Blick haben und demgemäß handeln.

Da es positiv besetzt ist, möchte ich mal die Namen Rambow, German Tanker, Wegner und Meyer-Wischhafen nennen, in der großen Fahrt sicher Hapag-Lloyd und Hamburg-Süd. Ich bin ja nun jeden Tag auf dem NOK unterwegs und kenne etliche Schiffe und deren Besatzungen. Schiffe der vorgenannten Reedereien zeichnen sich dadurch aus, daß man mindestens die vorgeschriebene Anzahl an deutschen u./o. EU-europäischen Besazungsmitgliedern findet, eher noch einen mehr und oft auch Auszubildende. Die Schiffe sind "Top"-gepflegt und eine Zierde für unser Land. Jenen Schiffen und ihren Reedern ist aber auch jede Förderung zu gönnen!

Demegegenüber stehen natürlich erheblich mehr "3-B-Reeder" ("3-B": billiges Schiff, billige Besatzung, billige Flagge), die zum Teil traditionelle Reedereien, zum Teil Newcomer sind.
Und trotz ihres "3-B"-Geschäftsgebarens optieren auch diese Reeder mit der größten Selbstverständlichkeit und Nonchalance auf die günstige und einfache deutsche Tonnagesteuer ... DAS ist die Riesensauerei, ebenso wie die Tatsache, daß unser Staat ein solches zulässt und daß der VDR derzeit anscheinend allein die Interessenvertretung der "3-B-Reeder" ist und die seemännisch wertvoll handelnden Reedereiein im Regen stehen lässt!
AnkerM
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Re: SBVO

Beitrag von AnkerM »

So, das war´s dann wohl!

474 Unterzeichner der Petition. Dass wir Seeleute keine große Lobby haben, war ja klar, aber das ... !

Ich kann es immer noch nicht fassen: ein Bundesverkehrsminister, der per Erlass Arbeitsplätze für seine eigenen Staatsbürger abschafft, denn nichts anderes ist das faktisch!

Es geht hier um etwas sehr Grundsätzliches: wenn sich ein Staat gute Rahmenbedingungen für seine Wirtschaft etwas kosten lässt, dann natürlich darum, damit letztlich Menschen seines Staatsvolkes einen Arbeitsplatz und ihr Auskommen haben.
Davon hat sich unser Staat anscheinend weitestgehend in der Seeschiffahrt verabschiedet: Reeder können auf die schöne deutsche Tonnagesteuer optieren, aber mit Arbeitsplätzen für unsere Seeleute brauchen sie sich nicht groß (und im Fall der "3-B-Reeder": gar nicht) belasten!

Sollten sich VerDi, VDKS und VDSI nicht noch zu einer Klage vor dem BVfG entscheiden, oder sich der Petitionsausschuss nicht noch trotzdem der Sache annehmen (woran ich nicht glaube), dann dürfte es endgültig bald kaum noch Landsleute von uns im Seemannsberuf geben!

Tatsächlich wäre eine Klage interessant: Als die damalige ÖTV gegen das Zweitregister klagte, wurde die Klage vom BVfG abgewiesen mit dem Hinweis, daß durch die SBVO ja pro Schiff sieben (ja, damals waren das noch SIEBEN) Positionen für deutsche o. EU-europäische Seeleute vorgesehen seien und daß damit dem Grundgedanken der Beschäftigung und Ausbildung eigener Seeleute Genüge getan sei.
Nun müsste es in der Umkehrargumentation ja so sein, daß eine solche SBVO wie die vorgesehene mit maximal ZWEI für deutsche o. EU-europäische Seeleute vorgesehenen Arbeitsplätzen verfassungswidrig wäre!
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