Peter Hartung hat geschrieben:Moin!
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Wie soll es weiter gehen mit dem Kreuzfahrt-Gigantismus? Welche zusätzliche Ressourcen zur Erhöhung der Ausfall-, Funktions- bzw. Betriebssicherheit benötigt ein Kreuzfahrer, der viertausend Leute an Bord versorgen muss? Wie geht es weiter mit dieser Art von Schiffstourismus, dessen jüngstes Produkt "DISNEY DREAM" zur Zeit bei der Meyer-Werft fertiggestellt wird?
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Moin Peter,
vielen Dank für Deinen qualifizierten Startbeitrag, mit dessen Fragen ich mich schon seit längerem beschäftige. Hier die aus meiner Sicht wesentlichen Faktoren:
- Der Gigantismus ist rein wirtschaftlich getrieben
Je größer das Schiff, desto geringer sind die Fixkosten je Passagier, mehr steckt da nicht dahinter
- Selbstüberhöhung des Gigantismus durch Medien und unkundige Passagiere
Wir sind ein Binnenland, maritimes Wissen begrenzt sich bei uns auf den Strandspaziergang und die Fährüberfahrt. Für die meisten interessieren neben den Kosten nur das Angebot an Bord. Da hinter dem Angebot stehende Schiff interessiert nur im "Hochglanzprospektmodus", die Bordtechnik bleibt komplett außen vor, das interessiert den Kreurfahrtpassagier nicht.
- Image orientierte Medienpolitik der Reedereien
Die wirtschaftliche Basis der Reedereien ist ein gutes Image, wir haben es schließlich mit einem hochpreisigen Freizeitverhalten zu tun. Da wird extrem viel unter der Decke gehalten, z.B. der Seeschlagschaden der QEII auf dem Atlantik.
- Gefahrenvorsorge steht weit hinten an. Der wirtschaftliche Betrieb total im Vordergrund.
Beispiel 1:
Ein Admiral der norwegischen Marine hat festgestellt: Evakuierung von Kreuzfahrern können nur Kreuzfahrer. Auch die Marine kann keinen Kruezfahrer evakuieren, wenn nicht an Land die nötigen Resourcen sind. Doch wo ist ein leeres Kreuzfahrtschiff ? Die Reederei, die das hat ist pleite. Also müßten andereweitige Konsequenzen gezogen werden, sich Sicherheitszertifizierungen für Redundanz von Bordtechnik etablieren. Doch wo sind diese ? Welche Reederei macht Werbung damit: "Unsere Schiffe sind XY-zertifiziert" – es gibt keinerlei globales Bewußtsein dafür; die Meldungen – wie Dein Startbeitrag – werden so klein wie möglich gehalten.
Beispiel 2:
Evakuierung von Kreuzfahrern hängt ebenfalls vom Funktionieren der Bordtechnik ab. Freifall-Rettungsboote für 4000 Passagiere, die auch ohne Strom oder Hydraulik zu Wasser gelassen werden können, hab' ich noch nirgends gesehen. (Allerdings gibt's da ein paar Silberstreifen am Horizont….)
Beispiel 3:
Die Auswirkungen des Seeschlages (Auftrittshäufigkeit von Kaventsmännern) wird nirgendwo stärker mißachtet wie im Kreuzfahrtbereich. Alles verglast, mit minimaler Freibordhöhe mitschiffs. Atlantik-tauglich im Winter ist kaum eines der Schön-Wetter-Schiffe. Doch leider gibt's auch in Schön-Wetter-Gebieten Hurikans, Taifune o.ä. Paart sich ein Maschinenausfall mit schlecht-Wetter, ist der GAU da.
- In der Technik herrscht derzeit grundsätzlich die Tendenz, daß man immer mehr zum Bau komplexester Systeme in der Lage ist, zum Betrieb dessen jedoch nicht. Der wirtschaftliche Betrieb fordert immer weniger hoch-qualifiziertes Personal an Bord. Gleichzeitig braucht man immer mehr davon, um im Störungsfall auch nur ein bischen agieren zu können. Ist erst einmal ein genügend komplexes Gebilde in Betrieb, sind die technischen Interaktionen so groß, daß kaum mehr eine Reparatur in Störungsfällen einfach und schnell erfolgen kann. Nicht nur die Generalisten an Bord, auch das Fachmann muß immer mehr try and error anwenden – das vermutete defekte Teil 'raus, ein anderes rein und seh'n wie das System reagiert. Selbst dem Fachmann, der ein Teil entwickelt hat, stehen meist keine Diagnosesysteme zur Verfügung, mit denen das von ihm entwickelte Teil im Gesamtsystem eingebaut überprüft werden kann. Immer häufiger kann kein Fehler an Einzelkomponenten festgestellt werden, die Fehlfunktion im Gesamtsystem ist trotzdem da. Ein Teil funtioniert eingebaut in A einwandfrei im identischen B jedoch nicht.
Der Weg zum freiwilligen Verzicht, "hinreichend komplex, nur soviel Technik wie nötig statt so viel wie möglich" ist noch lang, solange Technik mit Komfort und Wohlfühlen gleich gesetzt wird.
Ich befürchte daß wir
Titanic II in Bälde erleben werden. Der Auslöser wird ein Technik-Versagen sein, das "im falschen Moment" auftritt, entweder bei schlecht Wetter oder in engem Revier. Der von Dir im Startbeitrag geschilderte Fall ist einer von vielen, bei dem lediglich das Schicksal hold war: Weder schlecht Wetter, noch enges Revier war zum Zeitpunkt des Technik Versagens da. Glück gehabt.
Aus meiner Sicht git's viele Chancen
Titanic II zu vermeiden:
Die wahrscheinlichste ist, daß sich die Kunde über möglichst schlechtes Erleben an Bord nach technischem "Blackout" herum spricht. Je schlimmer die Kunde, desto Medien-tauglicher. Bisher ist das jedoch alles "unter dem Teppich" geblieben, beim "Voyager"-Desaster ist nach einiger Zeit nicht viel mehr als ein paar Filmchen bei YouTube zu sehen. Und auch der aktuelle Carnival-Fall dürfte schnell wieder vergessen sein. Erst wenn solche Vorfälle als Horrorszenarien medial überzeichnet über längere Zeit ausgeschlachtet werden, wenn das in Talkrunden einzieht, wenn betroffene weltweit interviewt werden, erst dann nehmen das größere Bevölkerungskreise (ungläubig) wahr. Dann wird's interessant, ob und wenn ja, welche Reaktionen eintreten (Buchungsverhalten, Änderung des Neubauverhaltens, Sicherheitsbewußtsein etc.). Bis jetzt sind das alles Nadelstiche, die noch nicht zu erkennbarer Vorsorge seitens der Reedereien geführt haben. Eine sicherheitsrelevante Promotion gibt's noch nicht, die staunende Bevölkerung bestaunt nach wie vor nur die Größe.
Eine andere Variante wäre, daß gewisse Schiffe von gewissen Häfen ausgesperrt werden. Davon sind wir aus meiner Sicht recht weit entfernt.
Ähnlich dürfte es sein, bei der Massenerkenntnis, daß die ganz großen Pötte nicht mehr überall reinkommen. Der Fun an Bord kompensiert das, so daß dies noch seeehr lang dauern wird, bis das zu einer Änderung führen würde.
Ich befürchte:
Titanic II ist schneller, weils nur die statistische Kombination von zwei Faktoren ist. Der eine nimmt permanent zu (je komplexer die Technik, desto häufiger werden die immer vorhandenen Teilausfälle groß genug) und die anderen beiden "Schlecht Wetter" und "enge Reviere" sind naturgegeben immer mal wieder da.
Mast und Schotbruch
Seekater