Die letzten Kümos

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Jan Myck
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Die letzten Kümos, Filmstars

Beitrag von Jan Myck »

:ugeek: Bild
"JOLANDA, oh my princess! Still working after all these years" Zitat eines niederländischen Shiplovers. (Foto Carl E.L. Andersen, Svendborg)


Mit MONSUNEN und JOLANDA um die Welt
Liebe Kümofreunde,
weil heute Sonntag ist, möchte ich euch dieses schöne Foto von der JOLANDA nicht vorenthalten.
Capt. Carl Andersen von der MONSUNEN aus Svendborg sandte es mir, als er vor ein paar Tagen meine DVD erhielt – eine ganz besondere Freude,
denn gerade die JOLANDA als auch sein eigenes Schiff, die legendäre MONSUNEN, gehören für mich zu den Stars der letzten Kümos.
Ich fragte um Erlaubnis seine Bilder hier im Forum zu zeigen und er ist damit einverstanden.

Die JOLANDA ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert:
Sie präsentiert sich im Film als eine der wenigen Kümos fast noch im Original-Zustand der fünfziger Jahre.
Eigentlich fehlen nur die Lademasten, ansonsten ist noch alles wie damals,
mit Persenning abgedeckten Luken, der hölzernen Brückenfront und der klassischen Volldecker-Bauweise.
Zusammen mit der SATURN war die JOLANDA im Kreis der letzten Kümos das letzte erhaltene Schiff einer niederländischen Werft.

Aufgrund ihrer Einzigartigkeit habe ich der JOLANDA im Film einen etwas längeren Beitrag
gewidmet. Den symphatischen Kapitän hatte ich an Bord interviewt, er hat mir viel über das alte Schiff erzählt.
So soll es unter seinem Voreigner bis nach Australien gesegelt sein. Eine große Leistung, die mal wieder beweist,
welche ausgezeichneten Seeeigenschaften diese konventionellen Schiffskonstruktionen der damaligen Zeit hatten.

Gleiches gilt für das Schiff des Fotografen selbst, der MONSUNEN:
Ebenfalls ein Volldecker mit klassischen Linien und dem stolzen, hohen weit ausladenden Bug. Jedoch schon eine Nummer moderner,
aus Mitte der 1960er Jahre.

Bild
Classic Coaster made in denmark. Die MONSUNEN lief 1965 als OTA RIIS in Frederikshavn vom Stapel.
Exakt da, wo die JOLANDA abgewrackt wurde.

Die MONSUNEN war abgesehen von den beiden Museumsschiffen CAROILINE S
und SAMKA das letzte erhaltene Kümo, das von einer dänischen Werft stammt.
Auch Carl Andersen hat lange Reisen mit dem Schiff gemacht.
Sie war in allen möglichen Häfen zwischen Nordkap und Nordafrika unterwegs und trägt bereits in der dritten Generation den Namen MONSUNEN.
Sein Großvater fing damals mit einem Marstal-Schooner an. Andersens Vater fuhr in den 1950er Jahre den kleinen 149 BRT Caroliner „MONSUNEN“,
der einmal bis zu den Falklandinseln segelte. "Aber es waren gute Seeschiffe, nicht gebaut wie eine Box, richtige Schiffe.." wie Erik Kromann vom Seefahrtsmuseum Marstal in meinem Film sagt.

Während der Dreharbeiten für „Die letzten Kümos“ bin ich beiden Schiffen, JOLANDA und MONSUNEN mehrfach begegnet.
Beide Schiffe sind in Dänemark abgewrackt worden. Beide Schiffe zählen zu meinen Lieblingskümos.
Hier im Kümofilm-Tagebuch werde ich neben vielen anderen auch diese beiden Kümos noch genauer vorstellen.

Einen herbstlichen aber warmen Sonntagabend
wünscht euch euer Jan von der Elbe.
Zuletzt geändert von Jan Myck am So 3. Nov 2013, 22:41, insgesamt 5-mal geändert.
Jan Myck
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Kümos auf DVD. Was fährt denn da?

Beitrag von Jan Myck »

Bild
Erschien im Sept. 2013, die neue Kümo-DVD beim Kehdinger Küstenschiffahrtsmuseum, Wischhafen.

Die Schiffe im Film und ihre Fahrtgebiete
Als ich vor etwa sieben Jahren damit begann, alte Kümo-Videos mit aktuellen Filmaufnahmen zu ergänzen,
gab es noch etwa dreißig Schiffe im regulären Frachteinsatz zwischen deutschen und skandinavischen Gewässern.
Es war klar, daß auch dieser Restbestand konventioneller Kümos sich in wenigen Jahren ganz auflösen wird.
Jetzt im Jahre 2013 ist es fast soweit gekommen.

Mit dem Entschluß diese selten gewordenen letzten Kümos klassischer Bauweise für die Nachwelt als Filmdokument zu erhalten,
ist es mir glücklicherweise gelungen, fast alle Schiffe noch rechtzeitig vor dem Abverkauf oder der Verschrottung in Alltagsszenen
auf dem Film festzuhalten.

Um welche Kümos handelt es sich ?
Auf der Rückseite der DVD habe ich die Namen der Schiffe aufgelistet, die im Film vorgestellt werden.
Einige wenige konnten mangels Möglickeiten mit der Kamera nur kurz gestreift werden,
die meisten aber konnte ich in verschiedenen Häfen ausgiebig filmen.

Nach Fertigstellung des Films 2012 sind bis auf einen kleinen Rest fast alle diese Schiffe verschwunden.
Die etwa einstündige Dokumentation zeigt klassische Kümos im Baustil der 1950er und 1960er Jahre beim Laden und Löschen,
in Fahrt und beim Manövrieren in deutschen und dänischen Häfen.

Bild
Die KORMORAN Bj 1966 gehörte zum gleichen Typ der kleinen 299er aus Flensburg wie die HANNELORE auf dem Titel-Cover.
Bis zuletzt fuhr sie ihre beiden Masten. Damals machte sie größere Reisen in der mittleren Fahrt. Zuletzt fuhr sie häufig
für das dänische Stahlwerk Frederiksvaerk. 2010 wurde sie dort zwangsversteigert, kurz danach abgewrackt in Greena, DK.


Ein besonderer Focus liegt bei einer Dokumentation über die letzten Kümos natürlich auf denjenigen Schiffen,
die ich als „alte Bekannte“ bezeichnen möchte. Gemeint sind Namen die uns noch in bester Erinnerung sind,
da sie bis vor kurzem hier auf Elbe,Weser und Kanal regelmäßig vorüberzogen. Jeder Kümofreund kennt sie.
Fünf davon sind erhalten geblieben:
HANNELORE, HOGELAND, ANNEMARIE (jetzt Mia B), MISTRAL und MERIDIAN (im Film leider nicht dabei).
Der Rest hat sich verabschiedet: HELA, BRAKE, ARNGAST, RIA, STEENBORG, KORMORAN, JUTTA B.

Bild
Die BRAKE aus Brake, gebaut in Brake unter der Flagge von Tuvalu.Beim Interview an Bord fragte ich
Kpt. Olrogge wie das geht. Sie kam an diesem Tag mit einer Ladung Hafer aus Schweden nach Brunsbüttel
und hatte die ganze Fahrt über heftigen Gegenwind. Ein wunderschöner Oldie der Lühring-Werft aus den
1950er Jahren. Die BRAKE wurde Januar 2012 verkauft nach Moldavien, Heimathafen Tighnabruaich.

Dann gibt es eine zweite Gruppe konventioneller Kümos, die ich als Ostseefahrer bezeichnen möchte,
da sie selten oder nie auf der Nordseeseite zu sehen waren. Das ist vor allem die außergewöhnliche
SAN REMO, die LISA S und mein Filmstar JOLANDA, sowie die Dänen VEST, VOLO (ex Lars Bagger),
CAROLINE S und die legendäre MONSUNEN.

Bild
Die SAN REMO: Immer noch in Fahrt und eine Diva unter den Kümos im Look eines Ozeandampfers.
Großartiges Design der 1960er Jahre und erstklassige Schiffbauqualität made by Nobiskrug, Rendsburg.
Auf der Brückennock gibt es einen Außenfahrstand!


Nur sehr wenige der beobachteten Schiffe haben sich gelegentlich auf größere Küstenfahrt begeben und alte Ziele wie England angesteuert.
Da sind vor allem die beiden schwedischen Schwestern ALA und ALVA zu nennen,
die öfter rüber nach Schottland gingen und dann auf dem Rückweg über Amsterdam, Antwerpen zurück in die Ostsee kamen.
Leider, leider, - muß ich beichten, daß obwohl Aufnahmen vorliegen, das Material qualitativ nicht reichte,
um diese beiden Sietas-Kümos ALA und ALVA auf der DVD unterzubringen.
Auch die LISA S und die MERIDIAN sind so ein Fall der Unterlassung.
Sie hätten unbedingt dazugehört, mußten aber aus schnitttechnischen Gründen ausscheiden.

Eine Ausnahme in den Fahrtgebieten macht die dänische SATURN.
Sie fährt selten, aber wenn sie fährt, dann auch mal richtig weit:
Französiche Atlantikküste, Kanalinseln, Südengland, Färöer und Island sind Ziele die
der kleine Zweimaster noch während meiner Filmzeit angesteuert hat.
Und last but not least: Die SATURN ist das letzte konventionelle Kümo in der regulären Frachtfahrt unter dänischer Flagge.

Dann gibt es noch ein paar Exoten auf dem Film, Ausnahme-Erscheinungen, die man nicht so oft sieht.
Davon später mehr.

Bis dahin..
Gruß, Jan
Zuletzt geändert von Jan Myck am Sa 23. Nov 2013, 15:22, insgesamt 3-mal geändert.
Jan Myck
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Was fährt denn da? Kümos auf DVD, Teil2

Beitrag von Jan Myck »

Die Schiffe im Film, Teil 2
Hier mal eine Auflistung sämtlicher Schiffe auf der DVD, geordnet nach Ländern des Eigners.
Diese dokumentarische Erfassung bezieht sich wie gesagt nur auf die Kümos in unserer "Umlaufbahn",
also im küstennahen Verhehr zwischen deutschen und dänischen Häfen.

Sie kann nicht vollständig sein, schon deshalb nicht, weil in den unendlichen Schären- und Fjordlandschaften Norwegens,
Schwedens, Finnlands, Islands, dem Baltikum, noch so manches Exemplar sich versteckt halten kann.
Ein gutes Beispiel dafür ist ja die finnische UNTERELBE, die ich glücklicherweise filmen konnte ,
weil sie zurück nach Wischhafen in ihre neue-alte Heimat kam.

Bild
Ausgewandert und zurückgekommen nach 22 Jahren. Die UNTERELBE unter finnischer Flagge einlaufend
Wischhafen 30.8.2010 mit dem Abendhochwasser. Das Schiff lief 1940 bei Holst an der Este vom Stapel.

Auch sei klar gesagt, daß ich bestimmte Kümotypen nicht berücksichtigt habe und zwar: Museumschiffe (Ausnahme: GREUNDIEK),
sehr flache flußgängige Kümos, die eher dem Charakter eines Binnenschiffes entsprechen, wie etwa die TINA oder NEUENBROOK.
Auch nicht Inselversorger wie etwa die BJÖRN M oder HELGOLAND (und es gibt noch mehr..).
Sowie keine Tankschiffe und Sandsauger, von denen es gerade in Dänemark noch sehr viele gibt.

Der Großteil der Aufnahmen wurde zwischen 2006 und 2011angefertigt und stellt die Situation der letzten Kümo-Jahre dar.
Es sind auch einige ältere Aufnahmen dabei, wie etwa DANIA und UNO.

Zu den Schiffen die unbedingt dazugehört hätten, aber leider auf der DVD fehlen (s. vorigen Beitrag) muß ich noch die LANDIA nennen.
Ein größeres Sietas-Kümo, soweit ich weiß unter schwedischen Mangement. Auch da habe ich Aufnahmen, aber das Material reichte
für eine vernünftige Schnittfolge leider nicht aus. Und natürlich die hier im Forum erwähnte TANAIS aus Polen. Sie kam zu spät.
Da war ich mit den Aufnahmen schon durch und den Schnittplan wollte ich nicht mehr umschmeißen.
So ist das eben in der Schiffahrt und es war eigentlich nie anders. Ein Schiff kommt - ein Schiff kommt nicht - und morgen ist wieder alles anders.

Hier die Kümos auf der DVD live und lebendig:

Deutschland:
Mistral
Annemarie/Beta
Hela
Hogeland
Arngast
Brake
Kormoran
Ria
Steenborg
Hannelore
Jutta B
Dide
Greundiek (Museumsschiff)

Dänemark:
Atlas
Dania
Volo/LarsBagger
Monsunen
Caroline S
Vest
Saturn
Othonia
Uno

Weitere Länder:
San Remo, Schweden
Largo II, Schweden
Baltic Breeze I, Schweden
Jolanda, Russland
Sea Runner, Irland
Unterelbe, Finnland

Die Angaben der Schiffsnamen und Eignerländer beziehen sich auf den Zeitpunkt der Filmaufnahme.
Bei der Largo II und der Jolanda gab es offenbar eine Eignergemeinschaft des Kapitäns mit RMS-Lübeck, (jetzt Lübecker Schiffahrtskontor).

Zwei bis drei der aufgeführten Schiffe gehören im strengen Sinne nicht zur Gruppe der von mir fokussierten kleinen Kümos der Bujahrgruppe bis etwa 1970:
Da wäre als erstes die dänische UNO zu nennen, ein 1599 BRT-Wewelsflether der neueren Generation, die 2002 im Kanal schwer havarierte und einen Mann dabei verlor. Damals filmte ich an mehreren Tagen die Bergung der gekenterten und halb gesunkenen UNO.
Wie wie der Zufall es so will, kam während dieser Aufnahmen, ein ausgesprochen exotisches Wesen mit reduzierter Geschwindigkeit an der Unfallstelle vorbei.
"SEA RUNNER - Pnomh Penh" stand am Heck. An Deck stapelte sich eine Holzladung, ein Anblick wie aus alten Kümozeiten.Die Besatzung stand am Schanzkleid und heftete ihre Blicke auf das gerade noch aus dem Wasser ragende Vorschiff der UNO.

Bild
Die UNO kollidierte mit einem Schubverband, kenterte und sank an der Uferböschung.
Im Hintergrund die SEA RUNNER auf dem Weg nach England.


Bei aller Tragik der Ereignisse um den vermissten Maschinisten der UNO, war es doch für den Kümofilmer ein ganz ausgesprochenes Glück, diesem Exoten begegnet zu sein. Denn kurz nach meinen Aufnahme am Nordostseekanal sollte dieses 1966 in Ungarn gebaute "große Kümo" (1242 BRT) in England an die Kette gelegt werden. Das was folgt, liest sich fast so spannend wie ein Krimi. Nur so viel sei gesagt: Die Odyssee der SEA RUNNER, später besser bekannt
als BALTIC SKY sollte noch monatelang die Schlagzeilen füllen. Aber davon später mehr..

Bild
Hoffentlich haben sie noch ihre Heuer gesehen, die Besatzung der SEA RUNNER


Sonntagsgruß,
jan
Zuletzt geändert von Jan Myck am Do 19. Nov 2015, 18:30, insgesamt 4-mal geändert.
Jan Myck
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Kümofilm-Tagebuch, MS "UNO"

Beitrag von Jan Myck »

Schwerer Seeunfall zum Kaffee
Weiße Wohnmobile, Klappräder, Pensionäre im Partnerlook, Eisesser und Pommes Frites kreuzen meinen Weg.
Es ist Sonnabend, es ist Sommer und Schleswig Holstein trifft sich am Kanal.
Die Kinder wollen noch ein Eis und die Hunde laufen mir durch die Stativbeine hindurch.
Was soll ich hier eigentlich? Das ist nicht meine Welt – das ist nicht mein Film.

Ich wende mich ab, suche einen stillen Platz außerhalb des Getümmels, schließe die Augen.

Es wird dunkel, es wird Herbst. Gewaltige Seen stemmen sich gegen den auslaufenden Ebbstrom in die Elbmündung während der Nacht des 14 Oktobers.
NW 8, Böen 10, „keine besonderen Vorkommnisse“ meldet der Kapitän an seinen Reeder.
Das Gedenkbuch der Seemannsheimkirche mit den Namenseinträgen der untergegangenen Seeleute erscheint vor meinem inneren Auge.

Damals schrieb das Abendblatt: „Die MARIANNE WEHR ging mit der gesamten 9-köpfigen Besatzung unter.
Das Verhängnis muß dann sehr plötzlich und unerwartet über das Schiff und seine Besatzung hereingebrochen sein.
Die geborgenen Toten trugen zwar Schwimmwesten, aber sie waren nicht alle festgezurrt. Einige Tote hingen nur in den Westen.
Das beweist die große Eile, in der die Männer von Bord mussten..“

Das war 1963. Küstenschiffahrt im Winterhalbjahr.
Nordsee, Biskaya, englischer Kanal, Skagerrak. Kümos in der kleinen Fahrt: 499er, 299er und noch Kleinere. Holzluken, drei Lagen Persenninge, neun Mann, Frau und Hund an Bord.

Jahrzehnte sind vergangen. Unzählige sind geblieben: Seeleute auf kleiner Fahrt.

Wen kratzt das - heute, hier ?

Ich öffne die Augen.
Vor mir liegt der Bug der UNO. Hat sich niedergelegt auf die Seite. Der ganze Schiffsleib liegt auf der Seite, das meiste davon unter Wasser.
2000 Tonnen Schrott sind noch im Raum. Und irgendwo ein Mann.

Bild
Wrack am Fahrradweg: Die gekenterte Uno im Juli 2002 bei Hochdonn. Noch ist die Ladung im Bauch.

Am Kanalufer geht der Volkslauf weiter. Ein Unglück ist passiert. Nachmittags um halb vier.
Das passt gut. Der Kaffee ist noch heiß, die Sicht vom Wohnmobil hervorragend.

Die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung fasst zusammen:

Sehr schwerer Seeunfall:
Kollision MS „Uno“ und TMS „Dettmer Tank 46“ am 11. Juli 2002 auf dem
Nord-Ostsee-Kanal bei Kanal km 21,1


Die UNO befand sich mit einer Ladung von 2.237 t Schrott auf der Fahrt von
Hagshamn/Schweden nach Hamburg. Auf der westlichen Passage durch den Nord-
Ostsee-Kanal mit einem Lotsen an Bord drehte beim Erreichen des Ausweichplatzes
Dückerswisch am 11. Juli um ca. 13.30 Uhr das Ruder plötzlich nach Backbord und
konnte nicht berichtigt werden.
Zu diesem Zeitpunkt steuerte der I. Offizier das Schiff über die Fernsteuerung. Als
das Ruder nicht reagierte, drückte der I. Offizier den Knopf auf der Steuerkonsole,
aber ebenfalls ohne irgendeine unmittelbare Reaktion auf das Ruder. Der I. Offizier
bediente nicht das Handruder.
Die UNO lief quer durch die Mitte des Kanals und kreuzte vor dem ostwärts
fahrenden Verband, Schubboot DETTMER TANK (DT) 45 und Schubleichter
DETTMER TANK 116. Eine Kollision war unvermeidlich, und die UNO wurde auf
ihrer Steuerbordseite durch den Vorsteven des DT 116 in einem Winkel von 90°
getroffen. Die UNO erlitt ein großes Loch in der Steuerbordseite, und sofort nach der
Kollision begann sie nach Steuerbord zu krängen. Obwohl es dem Kapitän gelang,
den Vorsteven der UNO am südlichen Ufer des Kanals festzufahren, kenterte das
Schiff schnell, und zuletzt ragte nur noch der Backbordbug aus dem Wasser hervor.
Die Besatzungsmitglieder und der Lotse sprangen von Bord und wurden gerettet
bzw. schwammen ans Ufer. Der I. Ingenieur fehlte jedoch. Obwohl eine intensive
Suche durch kleinere Boote, wie auch von Tauchern, außerhalb und innerhalb des
Schiffes erfolgte, konnte der I. Ingenieur nicht gefunden werden.

Bild
Die britische Yacht senkt die Flagge zum Trauergruß. Der deutsche Sportschiffer schaut nach vorn.
Zwei Mann suchen den Grund nach dem Vermissten ab.


Fortsetzung folgt..
Zuletzt geändert von Jan Myck am Sa 16. Nov 2013, 17:47, insgesamt 5-mal geändert.
Jan Myck
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Kümofilm-Tagebuch MS "UNO" Teil2

Beitrag von Jan Myck »

Rätsel am Schluß
Während ich mir einen Weg durch das Ufergetümmel bahne, um eine optimale Kameraposition vor dem Bug der UNO zu finden,
fällt mir auf mit welcher Teilnahmslosigkeit einige Yachten am Wrack vorüberziehen.

Da liegt ein großes Schiff im Graben, gerammt und umgekippt, so nah daß man einen Hut hinschmeißen kann, ein Mann wird vermisst –
und ihr schaut nicht mal hin. Was seit ihr für Yachtleute denn? Ich muß meine Gedanken beherrschen, darf nicht bitter werden.
Es lohnt sich nicht. Wir leben in einer Seifenschaumgesellschaft.

Da es keine Zufälle gibt, bekomme ich postwendend eine Bestätigung meiner Gedanken und werde Zeuge einer seemännischen Geste,
die ich bis heute nicht vergessen habe: In einem Pulk vorüberziehender Yachten zieht der Skipper einer englischen Fahrtenyacht den
Flaggenstock aus seiner Halterung, positioniert dabei Körper und Gesicht in aufrechter Haltung dem verunglückten Frachter zu
und hält die Flagge niedergesenkt solange sein Schiff passiert.
Danke Sir!

Bild
Schwimmkräne "Roland" und "Thor" der Hamburger Bugsier im Einsatz

Eine Woche später: Schwimmkräne haben die UNO aufgerichtet. Jetzt geht es darum an die Ladung ranzukommen.
Das Leck im Bereich des Laderaumes muß provisorisch gedichtet werden.
Dann soll das Schiff leergepumpt und nach Brunsbüttel verholt werden.

Bild
Die dänische Reederei hat das Schiff an die Versicherung übereignet.
Als Bergungsgemeinschaft wurde Bugsier und die niedreländische Wijsmuller-Group beauftragt

Was geschah eigentlich genau als die UNO aus dem Ruder lief?

Aus dem Untersuchungsbericht, verfasst von der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung
in Zusammenarbeit mit der Danish Maritime Authorotie, vom 26.5.2003
einzusehen auch hier: http://epub.sub.uni-hamburg.de/epub/vol ... _32_02.pdf

"Der I. Offizier stellte plötzlich fest, dass die UNO nach Backbord drehte.
Der I. Offizier bemerkte, dass die Ruderanzeige 20° nach Backbord zeigte, obwohl
er den Steuerknopf nicht entsprechend betätigt hatte. Der I. Offizier drückte sofort
den Knopf zur Änderung des Kurses nach Steuerbord, als die Ruderanzeige jedoch keine
Reaktion zeigte, drückte er den Druckknopf an der Steuerkonsole. Das Ruder
reagierte jedoch nicht, und nur nach einer außerordentlich langen Zeit zeigte die
Ruderanzeige, dass das Ruder sich zurück nach Steuerbord bewegte.

Der Kapitän bemerkte beim Blick aus dem Fenster seiner Kajüte, dass das Schiff
nach Backbord gedreht hatte und weit von seinem Kurs abgewichen war. Er ging
sofort auf die Brücke, wo er bemerkte, dass das Schiff den Kanal Richtung südliches
Ufer querte und dass die Maschine volle Kraft achteraus lief. Er sah ein
entgegenkommendes Schiff in einer Entfernung von 50-70 m Bug zu Bug. Kurz
danach, um 13.31 Uhr, geschah die Kollision bei Kanal-km 21,5 in der südlichen
Hälfte des Kanals. Hälfte des Kanals. Die UNO wurde an ihrer Steuerbordseite getroffen;
der Kollisionswinkel betrug ca. 90°. Im Moment der Kollision bewegte sich die UNO noch
vorwärts. Kurz nach der Kollision kamen die beiden Schiffe wieder frei voneinander.

Der Kapitän schickte den I. Offizier nach unten, um die Schäden zu inspizieren und
alle Mann an Deck zu holen. Er löste ebenfalls den Generalalarm aus. Der I. Offizier
berichtete ihm, dass das Schiff Wassereinbruch im Laderaum hatte und alle Mann an
Deck seien. Gemeinsam mit dem Lotsen beschloss der Kapitän zu versuchen, das Schiff
am südlichen Ufer auf Grund zu setzen. Die Maschine wurde auf volle Kraft voraus
gesetzt, und der Lotse steuerte das Schiff. Der Bug des Schiffes kam am südlichen
Ufer fest, der Rest des Schiffes blieb jedoch im freien Wasser. Um das Schiff am
Ufer festzuhalten, wurde die Maschine weiter auf volle Kraft voraus gehalten und das
Ruder hart nach Backbord gelegt. Kurz darauf wurde die Maschinenkraft reduziert
und schließlich auf Stopp gebracht.

Wegen des Wassereinbruchs begann die UNO,
nach Steuerbord zu krängen; die Krängung verstärkte sich ständig, bis das Wasser
die Lukenabdeckungen und die Unterkünfte erreicht hatte. Kurz darauf sank die UNO
auf Grund, und nur der Backbordbug ragte noch aus dem Wasser.
Dem Kapitän und dem Lotsen gelang es, aus dem Ruderhaus zu entkommen und ins
Wasser zu gelangen. Als sie im Wasser waren, überprüfte der Kapitän, ob alle
Besatzungsmitglieder entkommen waren. Mit Ausnahme des I. Ingenieurs sah er sie
alle. Er wurde in das Beiboot der DETTMER TANK aufgenommen und ans Ufer
gebracht, wo er jeden informierte, dass der I. Ingenieur fehlte.

Die anderen Besatzungsmitglieder hatten ihre Rettungswesten angelegt und waren
ins Wasser gesprungen. Einer wurde von einem Segelboot aufgenommen, die
Übrigen schwammen über eine Entfernung von 20 bis 25 m an Land.
Einige der Besatzungsmitglieder an Deck hatten den I. Ingenieur nach der Kollision
auf einem Poller sitzen sehen. Einer von ihnen fragte ihn, warum er seinen Rettungsanzug
nicht anhabe, woraufhin er ihm antwortete, er könne schwimmen und dass er da bleiben werde, wo er sei.“

Bild
2237 T. Schrott werden nach Aufrichten der UNO geborgen und auf Leichter umgeladen .

Obwohl das Schiff nach Auspumpen des Wassers mehrfach durchsucht wurde,
konnte der Maschinist erst nach dem Einschleppen in Brunsbüttel in einer Kammer
auf der Backbordseite gefunden werden. Der Untersuchungsbericht schließt mit der Feststellung,
daß die Ruderanlalge der UNO keine Fehler im Steuersystem zeigt.
Weiter: „Es gibt keine Beweise für elektromagnetische Störungen des Steuersystems aus der Umgebung.
Der I. Ingenieur der UNO kam ums Leben, weil er in einer Kajüte gefangen war, als das Schiff sank.
Kurz nach der Kollision wurde er an Deck gesehen, und es war nicht möglich, herauszufinden,
warum und wie er vom Deck in die Kajüte gelangte.“

Zwei kleine, wenn man so will, Mysteriösitäten ranken sich demnach um den, an sich unspektakulären Fall der UNO:
Was bewegte den Mann bei einem schnell kenternden und nach achtern wegsackenden Schiff noch mal ins Innere zu gehen,
wenn er schon an Deck war? Welche Kräfte bewegte das Ruder ohne menschliche Einwirkung 20 Grad nach Backbord?

Mit dieser kleinen Rätsel-Aufgabe wünsche ich allen ein geruhsames Wochenende.
Vielleicht kann der Schiffsunglücksthreat von Tim S etwas dazu sagen…?

Gruß,
Jan
Jan Myck
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Die Briefmarke mit dem Leuchtturm, Filmtagebuch: ARNGAST

Beitrag von Jan Myck »

Bild

Hafenbesuch hinter Gittern
Es ist einer dieser norddeutschen Sonntage.
Das nichtssagende Himmelsgrau klebt bewegungslos über einem erstorbenen Hafen.
Der Himmel vertieft seine Gleichgültigkeit im ewig dunklen Elbwasser, das sich in seiner Farbe zwischen schwarz-grau-braun nie entscheiden kann.
Das selbst jegliche Lust an Bewegung verloren hat und glatt liegt wie die Binnenalster.
Nicht eine Barkssasse kommt vorbei. Kein Kran bewegt sich. Zwei bis drei Möwenschreie verhallen im schiffsleeren Hafenbecken.
Nirgendwo wartet ein Seemann auf sein Taxi.
Es gibt wohl keine mehr.

Es ist einer dieser überflüssigen Sonntage die man besser im Bett verbringt.
Das geht nicht, denn heute bin ich verabredet. Ausgerechnet heute - in dieser gähnenden Einöde des einstigen Welthafens.
Das pulsierende Leben eines niemals zur Ruhe kommenden Welttores. Wo war das? Wann war das?

Wo bin ich? Aha: Mönckebergkai. Das ist der ehemalige Schuppen 77.
Da bin ich früher mit Seekisten auf einer VW-Pritsche hingeeiert.
Heute nennt sich so eine Kaianlage Leerzellen-Terminal. Sie hat vier Tore, ist umzäunt und abgeriegelt wie eine Jugendstrafanstalt.
Wer in den Knast rein will, muß einen vierstelligen Türcode eingeben. Den erfährt man vom Kapitän per Telefon vorab.

Es gibt aber auch Knäste ohne Türcode und Pförtner die nicht vorhanden sind.
Kapitäne und Besatzungen können ein Lied davon singen, wie sie in deutschen Seehäfen gehalten werden – insbesondere an Feiertagen.

STEENBORG-Eigner Jens Boysen fand sich einmal unter verhörähnlichen Bedingungen in einem Hafenbüro wieder,
nachdem er einen Zaun überkletterte um seinen Kollegen auf dem Nachbarschiff im gleichen Hafenbecken einen Besuch abzustatten.
Potentiell ist eben jeder ein Verbrecher. Das ist des Seemanns und Staatsbürgers Preis für den Öl-und Gasraub im Nahen Osten unter
amerikanischer Flagge mit deutscher Deckung.
Was muß, das muß.

Es ist Ebbe und die Eisenleiter reicht tief runter. Filmtasche und Stativ muß über kreuz an die Schulter. Die Hände brauch ich für die Leiter.
Unten ist Alfredo und nimmt mir das Stativ ab.
Und da stehe ich. Endlich an Deck. Endlich wieder auf einem Schiff – mit dem sofortigen Gefühl dieser kleinen, aber feinen unerklärlichen Erleichterung.
Eben das „Gefühl Schiff“. Eine andere Welt, nur durch die Festmacherleinen mit der alten Welt verbunden.

Kapitän Frank Stolzenberger reicht mir die Hand.
Ich bin an Bord der ARNGAST.

Bild
Stolzer Bug eines alten Schiffes. ARNGAST ist der Name einer Sandbank in der Jade-Mündung.
Der gleichnahmige Leuchtturm war jahrelang eine beliebte Briefmarke im deutschen Postverkehr.
Zuletzt geändert von Jan Myck am Sa 23. Nov 2013, 12:29, insgesamt 5-mal geändert.
Jan Myck
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Filmtagebuch ARNGAST 2

Beitrag von Jan Myck »

Das letzte Versaufloch
Im gemütlich eingerichteten Salon fühle ich mich sofort wohl. An der Wand hängt ein Bild vom Stapellauf der ARNGAST.
Während des Interviews schweift mein Blick immer wieder zu diesem alten schwarz-weiß Foto.
Was hat dieses Schiff alles hinter sich, seitdem es 1958 auf der Lühring-Werft vom Stapel lief ?

Bild
Stapellauf MS "WESER" 1958 in Brake. Die ARNGAST war das letzte Kümo mit Versaufloch.

Frank Stolzenberger erzählt, daß es einmal ein Treffen mit dem Erbauer und Konstrukteur der ARNGAST, Claus Lühring gab.
Dieser konnte noch einmal im Schiff einen Rundgang durch die Vergangenheit machen.
Die 1860 gegründete Familienwerft Lühring hat eine lange Tradition im Holzschiffbau hinter sich.
In den 1930er Jahren vollzog sie den Wandel von der Segelschiffswerft zum modernen Stahlschiffbau,was damals nicht jede Werft schaffte.
Ihre Kümobauten aus den 1950er Jahren gelten als wertbeständige Qualitätsprodukte.
Auch die etwas kleinere BRAKE ist ein Lühring-Bau.
1989 hat die renommierte Werft an der Weser für immer ihre Tore geschlossen.
Der alte Lühring soll noch am Weserdeich leben.

Als MS „WESER“ trat das Schiff 1958 ihre Jungfernfahrt an. Weitere Namen des mit 497 BRT vermessenen Kümos waren:
„BALTICA“ und „DROCHTERSEN“. In den 1990er Jahren lief das Schiff unter dem Namen „BETA“ für die Gebrüder Blanck
aus Drochtersen. Ursprünglich führte das Kümo drei Bäume mit je 3 T. Traglast.
Der vordere Mast wurde weggenommen, der hintere Doppelmast auf etwa halbe Länge gekürzt.
Der originale 750 PS starke Deutz-Motor vom Typ RBV 545 ist noch heute auf der ARNGAST im Einsatz.

Bild
Klassische Formen von der Weser. Man beachte das Rettungsboot in den Taljen mit den schweren Holzblöcken.

Die ARNGAST ist ein 2-Luken Schiff mit einer Vermessungsaussparung im Vorschiff.
Das vordere Deck dieser auch als Welldecker oder Quarterdecker bezeichneten Bauart,
mit der kleineren Luke vorn, liegt deutlich tiefer. An dieser Stelle ist das Schanzkleid bogenförmig nach unten ausgespart.
Bei Schlechtwetter und abgeladenen Schiff ein gefährlicher Platz, deshalb treffend von den Seeleuten als „Versaufloch“ bezeichnet.

Bild
Schleuse Brunsbüttel, volle Kraft zurück. Die ARNGAST auf dem Weg zu ihrer nächsten Projektfracht nach Rostock-Warnemünde.

Kapitän Stolzenberger erzählt mir, wie er die damalige BETA 1997 von den Gebrüdern Blanck übernommen hat:
„Das Schiff lag in Marstal auf der Werft. So hatte ich ausgiebig Gelegenheit mir das Schiff von oben bis unten anzusehen.
Nun ja, die ersten Jahre waren hart, da musste man schon zusehen wie man zurechtkam.
Über die Jahre hat man sich freigefahren. Auf dem Schiff liegen keine Belastungen mehr.
Aber: In den letzten Jahren ist es wieder schlechter geworden“

2008 war ein besonders schweres Jahr für die Eignerkapitäne. Stark sinkende Frachtraten und insgesamt weniger Ladung macht den Kümos schwer zu schaffen. Getreideladungen für EUR 6,50 die Tonne sind nicht Stolzenbergers Sache. Dann liegt er lieber mal eine oder zwei Wochen und wartet auf die nächste Projektfracht. Und: „..Wenn ich morgen einen finde der das Schiff kauft, dann geht er weg.“

Das ist ein Tenor den ich während meiner ganzen Filmzeit immer wieder heraushören konnte.
Fast alle Kümos standen latent zum Verkauf. Viele waren schon bei einem holländischen Makler auf der Webseite annonciert.
Allein die Kaufpreisangebote waren in der Regel unakzeptabel. So fuhr man ertsmal weiter, entweder bis zur nächsten Klasse,
oder bis ein akzeptables Preisangebot kam.

demnächst weiter hier..
Sonntagsgruß
jan
Zuletzt geändert von Jan Myck am Sa 23. Nov 2013, 14:33, insgesamt 2-mal geändert.
Jan Myck
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Filmtagebuch ARNGAST 3

Beitrag von Jan Myck »

Projektftracht für China

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Brunsbüttel im August 2009.
Eine glückliche Fügung hat es für den Filmer so gelegt, daß sich heute gleich zwei Kümo-Klassiker hier begegnen werden.
Dazu hat der Himmel noch eine schöne nordwestliche Wetterlage mit vielversprechenden Wolkenkformationen aufgelegt,
die perfekte Grundlage für eine kontrastreiche und lebendige Farbwiedergabe.

Während die BRAKE nach einer längeren Reise aus Uddevalla ihren schwedischen Hafer im Brunsbütteler Kanalhafen löscht,
habe ich mir einen exklusiven Kamerastandort auf dem Schleusengelände genehmigen lassen,
um die ARNGAST bei der Durchfahrt aus Hamburg zu erwarten.

Und da kommt er auch schon auf, der Dampfer mit dem Leuchtturmnamen, die Freifahrer-Flaggen im Vortop gesetzt.
Ein schönes Bild. Ein Schiff mit Charakter. Unverkennbar: Die Aufbauten in diesem seltsamen Nebelblau gestrichen.
Wie kam er blos auf diese Farbe?

ARNGAST-Kapitän Stolzenberger nutzt den Schleusenstop um ein paar Zeitungen in verschiedenen Sprachen zu kaufen,
unter anderem auch eine Polnische für den Steuermann.
Dieser Kiosk auf der Schleuse,ich weiß gar nicht ob es ihn heute noch gibt, ist ja eine wunderbare Einrichtung für die Seeleute.
Damals hieß es, es wird alles umgebaut auf der Schleuse. Weiß jemand ob es den Kiosk noch gibt? Würde mich mal interessieren.

Ich erhalte die Information, daß die ARNGAST in Rostock-Warnemünde Schiffsmaschinen für China laden wird.
Das ganze in zwei Törns, also Warnemünde-Hamburg-Warnemünde und zurück.
In Hamburg sollen die Dinger mit einem Schwimmkran auf Rickmers-Schiffe umgeladen werden.
„Das ist doch mal was“, denke ich. So etwas hatte ich noch nicht im Film.
Und schon habe ich mich mit der ARNGAST verabredet. See you later in St. Pauli.

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MS ARNGAST blau in blau, wie man sie bis zuletzt gekannt hat. Ob Seemannsgarn oder Kümogarn,
ich weiß es nicht: Angeblich soll der Blauton durch die Falschmischung eines Matrosen entstanden sein.
Es war lediglich vorgesehen, das Weiß geringfügig mit Blau abzutönen - der Seemann gab zu viel rein.
Reinweiße Vorschiffsflächen können bei Nebelfahrt eine Blendwirkung auf den Rudergänger auslösen.



Eine Woche später, Hamburg
Und wie so oft in der Seefahrt ist mal wieder alles anders.
Aus dem Umladen auf Schwimmkran HALA 4 wird leider nichts, vermutlich weil die beiden Schiffe
RICKMERS SHANGHAI und SHINGTAU EXPLORER noch nicht da sind.

Also geht die Fracht erstmal an Land. Und das ist in diesem Fall der Rickmers-Terminal,
auf dem Gelände der Firma Wallmann & Co am Reiherstieg.
Stückgüter, Schwergüter und Projektladungen sollen hier für den Asienverkehr umgeschlagen werden.

Nachdem ich glücklicherweise nach einigen Telefonaten und Unterschriften tatsächlich die Erlaubnis für meine
Filmerei auf dem Hochsicherheitstrakt erhalte, darf ich unter Ausrüstung eines Schutzhelmes das Gelände betreten.
Und tatsächlich: Da liegt sie schon – aber was für einen verlorenen Anblick bietet die kleine ARNGAST an diesem riesigen Überseekai.
Und doch spielt sie heute die Hauptrolle mit ihren drei nagelneuen MAKs im Bauch.
Was die wohl kosten?

Aber ich komme fast zu spät, verdammt!
Die Luken sind schon auf. Männer turnen auf Leitern im Laderaum rum.
Das Hebegeschirr oben auf der einen Maschine ist schon angeschlagen. So schnell kann ich gar nicht die Kamera auspacken,
einstellen und ausrichten. Jetzt nur konzentrieren, keinen Fehler machen bei der Hektik. Dann ist die ganze Drehgenehmigung umsonst,
wenn ich diese Schlüsselszene verpatze.

Wo stell ich mich hin? Was ist die beste Perspektive? Die Gedanken laufen schnell. Ein Wettrennen mit den Männern auf der Kiste,
die gerade den Colli vorsichtig über eine waagerecht im Raum schwebenden Leiter verlassen.
Details sind jetzt uninteressant. Ich muß das Ganze hier rauf kriegen: Schiff, Laderaum, schwebende Last.
Stativ kannst Du vergessen. Der Kamerawinkel nach oben ist zu stark, dazu kommt noch die Drehung wenn der Kran zum Kai schwenkt.
Das geht nur aus der Hand. Eigentlich sollte ich nicht unter hängender Last stehen, aber das geht jetzt nicht anders.
REC läuft. ..puh, grad noch geschafft.
Und da schwebt sie schon.

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Elbe- Weser- und Kanal-Dauergast MS ARNGAST ging das letzte mal durch die Brunsbüttler Schleuse im Julli 2011 auf der Ausreise nach USA.
Neuer Name POLA 1, Panama. Das ist der Weg den die Schiffe gehen, wenn sie gut sind: Nordatlantik.

..so long,
euer jan
Jan Myck
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Kümo-DVD Filmtagebuch BRAKE

Beitrag von Jan Myck »

Hafer aus Uddevalla
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Zurück nach Brunsbüttel.
Im Kanalhafen liegt die BRAKE.
Dieser Hafen gegenüber des Stadtzentrums am östlichen Kanalufer wirkt noch ein wenig altertümlich, fast zurückgeblieben,
im Gegensatz zum modernen Brunsbüttler Industriehafen. Hier fuhrwerkt ein alter Mobilkran im Verbund mit Förderbändern
und allerlei betagten Gerät für Schüttgüter. Dazwischen kurvt ab und zu ein Getreide-LKW.

Die Greiferschaufel holt die letzten Reste der Ladung aus dem Raum der BRAKE.
Ein Fahrzeug fährt die Reste zusammen. Der Raum ist so gut wie leer.

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Uddevalla liegt nördlich von Göteborg auf halben Weg zum Vänernsee, zu erreichen über verzweigte Fjordgewässer,
die tief in das Binnenland hineinreichen. Von dort hat die BRAKE das Getreide geholt. 750 T. Hafer für Brunsbüttel.
Warum Hafer für deutsche Landen aus Schweden bezogen werden muß, gehört für mich zu den Rätseln moderner Agrarwirtschaft.

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Kapitän Olaf Olrogge steht in leichter Freizeitkleidung auf der Brücke und lässt schon mal die Maschine klar machen,
denn gleich soll verholt werden. Auf dem Schiff treffe ich überall nette junge Leute an. Es sind Seefahrtsschüler,
die regelmäßig auf der BRAKE mitfahren und ein exklusives Praxistraining auf einem echten Oldie genießen.
Schade, daß eine solche Ausbildungsvariante mit dem Fortgang der Kümos inzwischen der Vergangeneheit angehört.

Jetzt umschließt der Kapitän mit seinen Händen dieses kleine antike Messingrohr,
ähnlich eines Trompetenmundstücks und spricht nicht - nein, er bläst hinein.
Das ist das Signal für den jungen Assi da unten in der Maschine, erfahre ich.
Fast habe ich das Gefühl auf einer Dampfschiffbrücke in einem alten Film mitzuwirken.
Und überhaupt: Die Brückenausstattung der BRAKE ist einzigartig. Ein Antquitätenladen!

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weiter mit Teil 2 Brake..
Zuletzt geändert von Jan Myck am So 1. Dez 2013, 02:57, insgesamt 3-mal geändert.
Jan Myck
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Filmtagebuch BRAKE 2

Beitrag von Jan Myck »

BRAKE aus Brake

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Festmachen in Aerösköbing, August 2011. Die BRAKE bekommt Raps für Hamburg.

Kpt. Olaf Olrogge erzählt mir wie er 1989 die BRAKE übernahm.
Es war gleichzeitig der Schritt in die Selbstständigkeit nach Beendigung seiner Ausbildung an der Seefahrtsschule.
Registriert ist die BRAKE in Tuvalu, der Hauptstadt einer winzigen Inselgruppe im südlichen Pazifik.
Der Heimathafen Brake und damit der Markenname „BRAKE aus Brake“ konnte auf Olrogges Antrag hin beibehalten werden.
Die Eintragung des Heimathafens in die Schiffspapiere ist Flaggenstaatsache. Stimmt der Flaggenstaat zu, ist der Heimathafen amtlich.

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Das rote O für Olrogge im Schornstein, ein Markenzeichen aus BRAKE

Die BRAKE lief 1957, ein Jahr vor der ARNGAST bei der Lühring-Werft in Brake vom Stapel.
Unter ihrem Taufnamen MARLIES hatte das Schiff eine Ladekapazität von 600 T,
bei einer Vermessung von 423 BRT. Die 355 PS starke MAK-Maschine ist bis heute erhalten geblieben.

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Holz an der Brückenfront zur Minderung der auf den Kompass einwirkenden magnetischen Kräfte
war in den 1950er Jahren noch häufig zu sehen.



In den Spezifikationen einer niederländischen Internet-Offerte aus dem Jahre 2009 wird das Schiff
als ein „very handy sized coastal-vessel….engine only consumes 58 litres per hour “ beschrieben.
Weiter heißt es im Text: „This vessel is still working and to do this, it has to be in class.
The class until May 2009. To sail these vessel under this conditions the crew must have:
1 Master
1 Chief Engineer
1 Chief Mate,
2 Seaman.“

Im Jahre 2009 hat das Schiff noch einmal neue Klasse bekommen.
Kapitän Olrogge führte die BRAKE weiter bis Ende 2011.
Daraufhin wurde das Schiff im Januar 2012 nach Moldavien verkauft.
Der letzte deutsche Hafen war Papenburg.

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Heimathafen seit 2012 Giurgiulsti. Neuer Name TIGHNABRUAICH. Wer kann es aussprechen ?

Mit ihrem lichtgrauen Farbanstrich, dem ausgeprägten Deckssprung,
sowie den leicht nach achtern geneigten Brückenfenstern, unterlegt von einer holzvertäfelten Brückenfront,
verkörpert die BRAKE einen feinen Flair klassischer Eleganz. Der neuartig geboxte Laderaum mit hohem Süll
und den Mac Gregor–Luken tut daran keinen Abbruch.

Ich glaube ich stehe nicht allein mit der Annahme, daß, wo auch immer dieser smarte kleine Coaster gerade vorüberzog,
er sich den wehmütigen Nachblicken eines jeden Schiffsliebhabers kaum entziehen konnte.

Farwell Brake!
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