Aus dem Alltag eines "waterclerk"

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DBauer
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Aus dem Alltag eines "waterclerk"

Beitrag von DBauer »

Ich möchte mit den Bericht über meine ungewöhnlichste Klarierung während meiner Lehrzeit zum Reedereikaufmann und Schiffsmakler (heute Schiffahrtskaufmann), etwas aus dem Berufsleben dieses vielseitigen und schönen Berufes beisteuern. Ich hoffe, dass meine Erinnerung nach den vielen Jahren (1969-1971) noch "up-to-date" sind. Ich hoffe es gefällt, vielleicht fällt ja auch einigen meiner ehemaligen Berufskollegen das eine oder andere dazu ein.
Tschüss aus Hamburg
Dierk

Ein Kümo aus Norwegen

Bei der Reederei Otto A. Müller, mussten die Lehrlinge ab Ende des zweiten Lehrjahres die Aufgaben des Klarierungsagenten (waterclerk) übernehmen. Wir mussten alles selbständig ausführen, natürlich mit Hilfestellung der erfahrenen Mitarbeiter. Eines Tages erhielt ich den Auftrag die Klarierung eines norwegischen Kümo`s zu übernehmen, der eine Ladung von mehreren hundert Tonnen Marmorsplitt nach Hamburg bringen sollte. Nach Auslaufen aus Trondheim in Norwegen sendete der Kapitän sein „eta“ (Abk. für expected time of arrival oder in deutsch voraussichtliche Ankunftszeit) Für diesen Termin musste ich alles was notwendig war bestellen, wie Liegeplatz am Kai, Wasserschutzpolizei, Zoll, Festmacher, etc.
Der Kapitän hatte Anweisungen uns sobald wie möglich wissen zu lassen falls sich sein „eta“ ändert. Die Ladung Marmorsplitt sollte in Hamburg auf wartende Binnenschiffe umgeschlagen werden, um dann weiter nach Berlin befördert zu werden. Sein „eta“, irgendwann im März um 2 Uhr morgens, wurde nicht geändert und wir erhielten auch keine weiteren Nachrichten von dem Schiff. Die Binnenschiffe wurden vom Verlader geordert und machten am Kai der Verladeanlage von Otto A. Müller in der Großen Elbstrasse in Hamburg-Altona fest. Bevor ich das Haus verliess, fragte ich beim Hamburger Schiffsmeldedienst nach, ob das Schiff Stadersand passiert hatte, denn dann wurde es Zeit loszufahren um pünktlich am Kai zu sein. Aber sie konnten nichts sagen. Im Jahr 1970 hatte man noch nicht die perfekte Radarüberwachung oder die moderne Nachrichtentechnik von heute. Deshalb fuhr ich trotzdem los um nicht zu spät am Kai am Altonaer Fischereihafen anzukommen. Ich ging in das Zollamt., das sich glücklicherweise im Gebäude des Fischereihafens befand und wartete dort mit den Beamten von der Wasserschutzpolizei und dem Zoll auf das Schiff. Aber es kam kein Schiff und es gab auch keine weiteren Informationen. Am frühen Morgen, nach einigen Stunden erhielten wir die Bestätigung dass das Schiff nicht auf der Elbe war und wir verließen den Kai. Im Stadtbüro versuchten wir Informationen zu erhalten, wo sich das Schiff befand. Der norwegische Makler des Schiffes hatte keine Informationen erhalten und es wurde auch nicht auf Funksprüche geantwortet. Deshalb, so hörten wir wurde auch von der norwegischen Marine nach dem Schiff gesucht. In Hamburg wurde weiter gewartet. Nach einer Woche erreichte uns die erlösende Nachricht, das das Schiff nicht gesunken und die Besatzung wohlauf sei. Das Schiff war immer noch in Norwegen und zwar lag es jetzt in Stavanger. Nun erhielten wir vom Kapitän, der auch Eigner war, ein neues „eta“, aber er hatte einiges zu erklären. Die Binnenschiffe, die schon weggeschickt werden sollten, mussten bleiben. Das Kümo kam nun pünktlich an. Ich durfte die Klarierung jetzt nicht mehr alleine machen, aber ich war darüber froh, denn der Kollege musste dem Kapitän die schlechte Nachricht übermitteln, dass er diesmal so gut wie nichts verdient hatte. Er erklärte seinem Makler und uns, dass er kurz vor Stavanger krank geworden sei und den Hafen anlaufen musste. Dort sei ihm ein Teil der Besatzung desertiert und er musste sich um Ersatz kümmern. Erst nach einigen Tagen hatte er seinen Makler und die Leute in Hamburg über seine Lage informiert.
Ich glaube, nun war er wirklich in Schwierigkeiten. Sein Makler wollte seinen Vertrag kündigen und vom Verlader in erhielt er nur einen Scheck über DM 300,- Alle Binnenschiffe waren auf „Überliegegeld“ und dies und weitere Extrakosten wurden ihm von seiner Fracht abgezogen. Ich hatte Mitleid mit ihm, denn er war ein alter, gebrechlicher Mann, aber es gab nichts was ich für ihn hätte tun können.
Dies war mein ungewöhnlichstes Erlebnis während meiner Klarierungstätigkeit.
Tschüss aus Hamburg
Dierk
Cornelia
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Re: Aus dem Alltag eines "waterclerk"

Beitrag von Cornelia »

Vielen Dank für diese kleine Geschichte aus Deinem Berufsleben. Ich habe es mit Interesse gelesen, dann nochmals gelesen und dann wurde mir so aufeinmal bewusst, wie sich die Zeiten geändert haben.
Deine Erfahrungen sind nicht soo lang her, und trotzdem, sehr vieles hat sich getan. Heute sitze ich hier in der Nähe von Basel und gucke auf aisLive oder vesseltracker, und kann Dir bei vielen Schiffen sagen, wo sie sich befinden, wohin sie fahren, mit welcher Geschwindigkeit und welchen Hafen sie als nächstes anlaufen. So etwas war damals nicht möglich, und man war es nicht gewohnt, sich immer und überall informieren zu können.

Heutzutagen kann ich auch im Internet die meisten Fahrpläne abrufen und kann erfahren, welches Schiff gerade in Hamburg am Eurogate liegt, in Rotterdam am ect usw., ohne Probleme. Es ist noch gar nicht soo lange her, wo dies alles noch nicht möglich gewesen ist, und durch solche Erfahrungsberichte wird einem dies mal wieder richtig bewusst.
waterclerk
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Re: Aus dem Alltag eines "waterclerk"

Beitrag von waterclerk »

Hallo Dierk :)

Meine aktive Clerk-Zeit war von 1988 bis 1997 bei der seinerzeit alt eingesessenen aber leider nicht mehr existierenden Fa. KARL STEDER GMBH hier in Lübeck.

So ein intensives "Im-Dunkeln-Tappen" nach der Position eines Schiffes habe ich auch nicht mehr erlebt, aber abenteuerlich und oft auch mühsam war es trotzdem ;)

Mein Gott, was haben es die Clerks heute einfach, sich die Zeit einzuteilen allein mit Hilfe der modernen AIS-Ortung, Mobiltelefonen etc...so etwas gab
es auch zu meiner Zeit noch nicht. Warum einfach fragen sich jetzt vielleicht Einige, aber das ist anhand eines kleinen Beispiels schnell und leicht erklärt ;)

Und zwar ging das oft so: Im Kontor in Lübeck wird der Plan für den nächsten Tag aufgestellt. Ich übernehme die Klarierung für das Schiff XYZ (hier mal BEATE genannt), sie gibt ETA für 07:00 Lotse Travemünde am nächsten Morgen. Mit meinem Chef vereinbare ich als Arbeitsbeginn für diesen Tag die Klarierung von der BEATE. In der heutigen Zeit wäre das jetzt ein Leichtes...ich schaue am Abend in den Computer, schau mir die Position an und lass mich dann auch noch von Vesseltracker über SMS informieren, wenn die BEATE Travemünde passiert. Genug Zeit, dann aus dem Bettchen zu kriechen, den Zoll zu bestellen und zum Schiff zu fahren.

Damals ging das anders...Erstes Wecker stellen für 06:00...Anfrage bei der Lotsenstation ob sich die BEATE schon gemeldet hat...Antwort NEIN...okay...wieder ins Bett, Wecker auf 07:00 gestellt, anschliessend wieder Anruf bei der Station....NOCH NIX...also, nochmal in die Klappe bis 08:00...und wieder Anruf bei den Lotsen...dieses mal klappts und BEATE hat sich gemeldet...in 2 Stunden beim Lotsen....naja...dann konnte ich mich entweder noch einmal ein bissi hinlegen oder gleich ganz aufstehen und in Ruhe später losfahren...Wenn dann alles geklappt und die BEATE sich nicht noch weiter verspätet hatte, ging mein Arbeitstag nach verlassen meiner Wohnung um 10:00 Uhr los....

Das erste mal aufstehen musste ich allerdings 4 Stunden vorher, das wurde allerdings nicht bezahlt und galt auch nicht als Arbeitszeit :roll:

Heutzutage hätte mich um 10:00 Uhr eine SMS über die Passage der BEATE durch Travemünde informiert, wahrscheinlich hätte ich da gerade gemütlich und ausgeschlafen gefrühstückt bei nem Tässchen Kaffee :lol:

Tja...so war das damals :)

Geschichten und Anekdoten aus der Zeit gibt es viele, leider bin ich ja immer noch berufstätig und habe nur wenig Zeit. Der Trave-Thread und die damit verbundenen Wege etc. tun ihr übriges. Aber wenn ich mal wieder Muse habe, stelle ich hier gern mal wieder das eine oder andere belanglose Geschichtchen ein :) ;)

Viele Grüsse
Waterclerk
DBauer
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Re: Aus dem Alltag eines "waterclerk"

Beitrag von DBauer »

Guten Morgen waterclerk,
danke für Deinen Beitrag, trotz Deiner vielen Arbeit. Ich weiß erst jetzt wieviel Arbeit und Zeit investiert werden muss. Ich wünsche Dir weiterhin viel Erfolg und vor allen Dingen keine unliebsamen Begegnungen mehr mit dem Eis.
Tschüss und ein schönes Wochenende
Dierk
Tschüss aus Hamburg
Dierk
Wesernixe
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Re: Aus dem Alltag eines "waterclerk"

Beitrag von Wesernixe »

ach Klasse ...ja ja ich kann mich auch noch gut erinnern, bin ja seit 1989 aktiv u heut staune ich noch oft wie viel bequemer es heute ist - nun ja ansonstenhätten wir wohl auch nicht am Wochenende mal eben so 13-19 Schiffe abfertigen können - das geht nur mit der modernen Technik.
Erzählt man das den Azubis von heute, sieht man wie sie die Augen verdrehen, jaja - nu gehör ich schon zu den "Alten" den Hafenspinnern - den Unikaten *wehmütig werd*
keiner sollte die eigentliche Geschichte dahinter vergessen - die Kulturen, Menschenschicksale - oft zum lachen u leider auch immer wieder zum Weinen.
Ach hätt man doch diese ganzen GEschichten aufgeschrieben.
Finde es klasse hier einmal das ein oder andere Anekdötjen zum Besten zu geben.
Und werd mal in meinem Hirn kramen in den nächsten Tagen
AxelH
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Re: Aus dem Alltag eines "waterclerk"

Beitrag von AxelH »

Mein AIS hiess damals Telex LOL. Auf einem kleinen Streifen bekamen wir die Meldungen ab Elbe 1 und der Telefonist musste immer alles sauber in ein Mehrspaltenbucheintragen. Wenn er gut aufgelegt war rief er Dich an wenn das Schiff an einer bestimmten Stelle vorbeikam. War zwar nur Schiffsausruester ab spassgemacht hats trotzdem :)
Wesernixe
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Re: Aus dem Alltag eines "waterclerk"

Beitrag von Wesernixe »

wenn ich noch daran denke...."Hier ist Norddeichradio - ich habe hier Ihr angemeldetes Seefunktelefonat mit MS "XYZ"
An der Pier - immer Kleingeld in der Tasche, damals standen dort noch öffentliche Telefonzellen (Stromkaje Bremerhaven), die auch von den Besatzungen genutzt wurden
DBauer
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Re: Aus dem Alltag eines "waterclerk"

Beitrag von DBauer »

Meinen Bericht " "Eiin Kümo aus Norwegen" habe ich auch in dem Forum "coasters-remembered"
eingestellt. Folgende Geschichte wurde daraufhin von "Trader", eingestellt. Als kurze Info,
"Trader" ist 75 Jahre alt und hatte vor seiner Fahrzeit bei der Handelsmarine in einer Schiffsmakler-
firma in Manchester gearbeitet. Heute würden wir sagen "gejobbt", denn er wollte immer zur See fahren, aber seine Mutter wollte ihn nicht gehen lassen. Schließlich hatte sie dann doch nachgegeben und er ist bis zu seiner Pensionierung auf allen Weltmeeren gefahren.

Hier seine Antwort:

Hi Dierk,
eine weitere nette Geschichte. Es erinnert mich an die Zeit als im Büro eines Schiffsmaklers in Manchester gearbeitet hatte, bevor ich zur See fuhr. Wir waren Agenten für die meisten Küstenschiffe die nach Manchester kamen, überwiegend in der Irlandfahrt, Kohle von Manchester nach Irland , Steine von Nordwales nach Manchester, usw.

Ein kleines Küstenschiff war der Segelschoner „Invermore“, die den Kapitän J. Tyrell aus Arklow gehörte.. Sie lud ungefähr 200 Tonnen Kohle in Partington (Manchester Ship Canal), die für Arklow oder Wicklow bestimmt waren. Ich weiß nicht mehr wer von beiden. Sie verließ Partington und fuhr den Kanal herunter, wenn das Schiff Eastham, die letzte Schleuse am Kanal, passierte sendeten wir ein Telegramm an den Empfänger der Ladung, damit sie wussten, das das Schiff unterwegs war.
Auf dieser Fahrt aber war das Schiff nie in Eastham angekommen, und jeder wunderte sich wo sie war .Die Kanalgesellschaft hatte keine Nachricht von ihr, wahrscheinlich hatte der Kapitän an einen Liegeplatz einige Meilen entfernt von irgendwo festgemacht und niemand wusste das sie dort war. Sie lag dort wohl 2 oder 3 Tage bevor sie wieder weiterfuhr. Da der Kapitän auch Eigner war, nehme ich an, fühlte er sich niemanden verantwortlich. Wir haben nie erfahren was los war, vielleicht hatte er ja Maschinenschaden, es ja auch zu der Zeit (1950) nur unzureichende Telefonverbindungen.

Ich erinnere mich immer wieder gern an den kleinen Schoner, denn wenn ich mit Papieren, Geld oder anderen an Bord kam, gab mir der Kapitän immer etwas irische Butter für meine Mutter mit. Es gab zu dieser Zeit immer noch Lebensmittelrationierung in England, aber keine in Irland. Meine Mutter hatte sich über alle Maßen gefreut, wenn ich ihr die Butter mitbrachte

Alec

Falls interesse besteht, hier die Geschichte im Orginal

Hi Dierk,

Another nice story. It reminds me of when I worked in a shipping agents office in Manchester before I went to sea. We were agents for most of the coasters that came up to Manchester, they were mostly in the Irish sea trade, coal from Manchester to Ireland, stone from North Wales to Manchester etc.

One little coaster was the sailing schooner "Invermore" which was skipper owned by Capt. J. Tyrell of Arklow. She loaded about 200 tons of coal at Partington (Manchester Ship Canal) for Arklow or Wicklow, I don't remember which one. She sailed from Partington and proceeded down the canal, when the vessel left Eastham, the last lock on the canal, we would send a telegram to the receivers of the cargo so they would know that the vessel was on its way.

On this particular trip the vessel never arrived at Eastham and everyone wondered where she was. The Canal company had no news of her, apparently the skipper had tied up on some berth miles from anywhere and no one knew she was there. She was there for two or three days before they made a move, as she was skipper/owned I suppose the skipper could please himself. We never did find out what happened, maybe she had engine trouble, there was very little telephone communication in those days, (1950).

I always remember this little coaster as when I went down on board with money and papers etc. the skipper gave me some Irish butter to give to my mother. We still had food rationing in those days in England and there was none in Ireland. My mother was over the moon when I gave it to her.

Alec.

Tschüss aus Hamburg
Dierk
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