Nach den Erinnerungen von Kapitän Kurt Timm: Die Gehrckens-Schiffe "SÖDERHAMN" und "PICKHUBEN" retteten Tausende Flüchtlinge.
Der Untergang der "Wilhelm Gustloff" war bekanntlich nicht die einzige Schiffskatastrophe in den letzten Kriegswochen des Jahres 1945. Das gleiche sowjetische U-Boot, das die "Gustloff" versenkte, torpedierte am 10. Februar 1945 auch die "Steuben" - mit etwa 4 000 Flüchtlingen an Bord. Am 16. April 1945 sank der Frachter "Goya" und riss schätzungsweise 7000 Flüchtlinge aus West- und Ostpreußen und Soldaten in den Tod. Jüngste Schätzungen gehen von insgesamt rund 40 000 Menschen aus, die bei der Flucht über die Ostsee den Tod fanden.

Das angeblich letzte Photo von der "Wilhelm Gustloff" im Hafen von Gdynia (Gotenhafen) ca. am 28. 1. 1945. Bildnachweis: Chronik des Seekrieges 1939-1945, Hg. Württembergische Landesbibliothek, Stuttgart 2007.
Was nicht vergessen werden darf: Zwischen Januar und Mai 1945 schafften es 800.000 bis 900.000 Flüchtlinge sowie 350.000 Verwundete über See den "rettenden Westen" zu erreichen. Drei bis vier Millionen Deutsche in Ostpreußen, Danzig und Pommem gerieten aber in den Herrschaftsbereich der Roten Armee. Viele von ihnen wurden in Lager gepfercht und fast alle bis Ende der vierziger Jahre aus der Heimat vertrieben. Die von interessierter Seite verbreitete Legende, einem Befehl des Oberbefehlshabers der deutschen Kriegsmarine, Großadmiral Karl Dönitz, sei es zu verdanken, dass zwei Millionen Flüchtlinge gerettet werden konnten, ist falsch. Vielmehr hatten die Kriegsverbrecher Dönitz und Hitler selbst Ende Januar 1945 vereinbart, dass militärische Transporte in der Ostsee vor den Flüchtlingstransporten absolute Priorität haben sollten.
Nur dem Mut der mittleren und unteren Marinestellen war es letztlich zu verdanken, dass viele Zivilisten in den "rettenden Westen" kamen. Zu verdanken war dies aber auch der Entschlossenheit und dem Können einiger Kapitäne der Handelsmarine. Zwei von ihnen waren Kapitän Kurt Timm von der "Södenhamm" (1499 BRT) und Kapitän J. Matthies von der "Pickhuben" (999 BRT). Die beiden kleinen Dampfschiffe gehörten der Hamburger Reederei H. M. Gehrckens.

Dampfer "SÖDERHAMN" (1.499 BRT) von H. M. Gehrckens. Kapitän Kurt Timm. Bildnachweis: Erik Verg, Unter der blauen Flagge, Hamburg 1980

Kapitän Kurt Timm. Bildnachweis: Erik Verg, Unter der blauen Flagge, Hamburg 1980

HMG-Dampfer "SÖDERHAMN". Foto: Sammlung Norbert Röth, Rottorf.

HMG-Frachtdampfer "PICKHUBEN" (1), 999 BRT, Kapitän J. Matthies. Foto: Sammlung Norbert Röth, Rottorf.
Kapitän Kurt Timm brachte mit der alten "Söderhamn" (Baujahr 1899) während sieben Reisen von Januar bis April 1945 fast zwanzigtausend von der Flucht aus Ostpreussen und Pommern erschöpfte Menschen mit seinem Schiff sicher über die Ostsee nach Schleswig-Holsten und Mecklenburg. Kapitän Matthies rettete rund 16.000 Menschen mit seiner "Pickhuben".

Die Kriegslage in Ostpreussen im Januar 1945.Bildnachweis: Sammlung Peter Hartung aus "Chronik des Seekrieges 1939-1945", Hg. Württembergische Landesbibliothek, Stuttgart 2007.
Kapitän Kurt Timm:
"Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg (Als Kapitän)"
Beginn der Flüchtlingsfahrten und die Vorbereitung
Bei Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 lagen wir im Frühjahr im Gelände der Danziger Werft und hatten gerade die große Reparatur hinter uns. In der Danziger Bucht hatten wir einen sehr großen Schaden an unserem Schiff erlitten und waren nur mit ganz großem Glück dem Untergang entkommen --- bei sehr stürmischem Südwind! Jedenfalls war unsere Bordwand im Raum 3 von oben bis an die Bilge (Sammelraum für Lecköl und Wasser im Maschinenraum über dem Doppelboden) hinunter aufgeschnitten und der Raum sofort voll Wasser gelaufen. Gottlob hielt unser wasserdichtes Querschott dem großen Druck stand und unser Schifflein blieb an der Wasseroberfläche! in allerletzter Sekunde war es mir denn doch noch gelungen mit "Voll Voraus" das Schiff für kurze Zeit etwas vor zu ziehen, sonst wäre der fremde Dampfer genau in unsere Maschine hineingefahren! Und wir wären sofort gesunken. Es wäre ein böses Drama geworden. Und dabei hatten unsere Ankerlaternen (abgeblendet nach Vorschrift) hell und klar gebrannt! Na, dies war ja nun alles wieder repariert. Gegen Abend erhielten wir Order, am nächsten Morgen hier in der Werft Flüchtlinge zu übernehmen. In einer Nacht bauten unsere paar Besatzungsleute im Vorschiff zwei große starke Treppen im Unterraum vorn bei Luke 1 und 2, und zwei Treppen vom Deck ins Zwischendeck! Auch im Achterschiff wurde vom Deck aus eine ganz schwere lange Treppe in den Raum hinunter gebaut. Aber irgendwie bekamen wir dann doch noch Hilfe und man setzte uns auf das Vor- und Achterdeck insgesamt zehn Toiletten. Das war auch bitternotwendig. Natürlich war alles recht primitiv, aber das spielte in diesem Notfalle bestimmt keine große Rolle! Dann warteten wir aber mehrere Stunden auf die Flüchtlinge, und endlich erfuhr ich, daß der Pförtner keine Menschen in das Werftgelände herein ließ. Vom nächsten Telefon aus sprach ich dann mit dem Herrn, und damit war das Mißverständnis denn auch sehr schnell bereinigt! Bald darauf kamen die teilweise halberfrorenen Menschen durch den stellenweise meterhohen Schnee bei minus 14 bis 18 Grad zu uns an Bord. Aber warm war es ja auch an Bord nicht, obwohl unsere Luken weitgehend zugedeckt waren. Allmählich wurde es nach kurzer Zeit doch recht anheimelnd durch die vielen Menschen. Natürlich wurden die Ärmsten gleich weitgehend versorgt.

Letzte Hoffnung für Hunderttausende, ein Schiff Richtung Westen. Am oberen rechten Bildrand ist mutmaßlich die "PICKHUBEN" zu erkennen. Bildnachweis: Erik Verg, Unter der blauen Flagge, Hamburg 1980
Fortsetzung folgt.
mfg Peter Hartung
Quellenverzeichnis: Sammlung Kapitän Oliver Timm, Moers; Erinnerungen und Aufzeichnungen von Kapitän Kurt Timm; Chronik des Seekrieges 1939-1945, Hg. Württembergische Landesbibliothek, Stuttgart 2007; Erik Verg Unter der blauen Flagge, Hamburg 1980; Norbert Röth, Rottorf.
PS.: Siehe auch: http://www.unter-blauer-flagge.de