P&O Ferries stellt Betrieb vorübergehend ein

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Stephan Giesen
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Re: P&O Ferries stellt Betrieb vorübergehend ein

Beitrag von Stephan Giesen »

Tim S. hat geschrieben: Mo 21. Mär 2022, 12:08
Stephan Giesen hat geschrieben: Mo 21. Mär 2022, 10:29
Tim S. hat geschrieben: Mo 21. Mär 2022, 09:40

Also bei den hiesigen Kreuzfahrtreedereien haben viele Seeleute Heuern und Arbeitsbedingungen, von denen sie in der Handelsschifffahrt nur träumen können.
Aha. Auf welchen Erkenntnissen beruht Deine Behauptung? Vorweg: Meine Behauptung beruht in erster Linie auf eigener Erfahrung (wie Du vielleicht weißt, war ich einst in der Handels- als auch in der Kreuzschifffahrt tätig) sowie auf diversen TV-Reportagen und Presseartikeln (die generell je nach Medium kritisch zu betrachten sind, sich jedoch zumeist mit meinen Erfahrungen decken). Das Thema ist schließlich nicht neu.

Deine These mag in gewisser Weise für die europäischen Seeleute gelten, aber sicher nicht für die aus Fernost. Da es in der Handelsschifffahrt bis auf wenige Ausnahmen aber kaum noch europäische Seeleute gibt, ist der Vergleich eh obsolet.
Also nach meinem Kenntnisstand leckt sich jeder Filipino die Lippen nach einem Job bei Aida oder MSC. In der Handelsschifffahrt sehen die Arbeitsbedingungen bei den Billigheimern ja nun meist deutlich schlechter aus.
Leider lässt Du weiterhin offen, auf was Dein Kenntnisstand beruht. Aussagen der Reedereien? Werbebroschüren? Unterhaltungen mit Crew an Bord?

Nur mal ein paar Stichworte: Niedrige Grundheuer, abhängig von Trinkgeldern; kaum Privatsphäre, da mindestens Unterbringung in Doppelkabinen; überdurchschnittlich lange Wochenarbeitszeiten -> somit wenig Freizeit; meist sehr lange Einsatzzeiten (>= 10 Monate).

Wenn Du mit "Billigheimern" Frachtreedereien aus Fernost, Osteuropa oder naher Osten meinst, wirst Du sicher Recht haben. Bei westeuropäischen Handelsreedereien zum Beispiel stehen die fernöstlichen Seeleute jedoch deutlich besser da als auf Kreuzfahrtschiffen, wenn auch sicher immer noch weit von angemessener Behandlung entfernt.

Auf die Schnelle:
https://www.thb.info/themen/kreuzschiff ... iffen.html
https://www.handelsblatt.com/arts_und_s ... 92080.html

Wer sich damit befassen will, wird hunderte solcher Artikel finden.

Ich bin ja hier schonmal mit einem User aneinandergeraten aufgrund meiner kritischen Aussagen; gleichwohl will ich weiterhin niemandem seine heile Kreuzfahrtwelt zunichte machen, aber zu etwas mehr kritischer Betrachtungsweise bei der nächsten Buchung möchte ich schon gerne anregen.
Mit maritimen Gruß

Stephan
Tim S.
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Re: P&O Ferries stellt Betrieb vorübergehend ein

Beitrag von Tim S. »

Also durchaus auch auf persönlichem Austausch, ja, sowie eigener Wahrnehmung. Aber natürlich hast auch du mit deinen Kritikpunkten recht. Es ist halt vieles relativ, und ohne Zweifel ist die Arbeit auf Kreuzfahrtschiffen auch kein Urlaub. Aber da ich mich wiederum nun auch viel mit Seeleuten befasse, denen die ITF zur Seite springen muss, sehe ich im Vergleich eben diese Branche nicht so negativ wie die Bedingungen auf vielen Billigflaggen-Rostlauben, wo oftmals überhaupt keine Heuer kommt über lange Zeit, Schiffe wie Crews einfach irgendwo aufgegeben werden, die Schiffe völlig verdreckt und/oder unterversorgt sind etc. Das wird dir bei Kreuzfahrtschiffen eher nicht passieren.
Volker Landwehr
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Re: P&O Ferries stellt Betrieb vorübergehend ein

Beitrag von Volker Landwehr »

Tim S. hat geschrieben: Mo 21. Mär 2022, 12:10 Es ist der Job von Gewerkschaften, ihre Klientel zu schützen. Und es ist und bleibt ein unfassbar dreistes Vorgehen der Reederei, so mit den Menschen, die ihre Schiffe am Laufen halten, umzuspringen. Das ist frühkapitalistisches Gebahren, für das mir jedes Verständnis abgeht.
Ich gebe Dir recht, dass die Gewerkschaften ihre Klientel schützen und die Art und Weise der Kündigung unmöglich ist.

Gleichzeitig fehlt angelsächsischen Gewerkschaften (UK, USA, Australien) traditionell Maß und Mitte. Dort ist die Devise zu oft alles oder nichts. Häufig allerdings mit dem Ergibnis nichts. Ein Beispiel aus den USA: zwei große Lokomotivhersteller, die um die wenigen Aufträge konkurieren, verhandeln mit den Gewerkschaften an ihren Stammsitzen in Gewerkschafts-gebundenen Staaten über neue schlechtere Konditionen, um konkurenzfähig zu bleiben. Die Gewerkschaften bleiben stur. Die Hersteller verlagern ihre Produktion in nicht Gewerkschafts-gebundene Staaten und fahren ihre Stammwerke auf ca. 10% Leistung zurück.

Auch das Verhalten von Gewerkschaften kann frühkapitalistisch sein. Es geht nicht immer um das Beste für die Belegschaft sondern oft um Macht. Angelsächsische Gewerkschaften sind eine besondere Gattung und sollten nicht mit den deutschen verwechselt werden.

So unwürdig ich die Art der Kündigung finde, kann ich doch bei manchen Verhältnissen von Gewerkschaften und Industrie die Reaktion von P&O nachvollziehen. Wir sind nicht in Deutschland.
Gruß, Volker
Tim S.
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Re: P&O Ferries stellt Betrieb vorübergehend ein

Beitrag von Tim S. »

Ja, gut, das sind bedenkenswerte Aspekte. Derweil bekommt die Reederei die Folgen des PR-Desasters weiter zu spüren:
https://www.marketingweek.com/po-ferrie ... nosedives/

Und dieser Tarif ist durch nichts gerechtfertigt:
Indian seafarers hired to replace sacked P&O Ferries crews are being paid just 2.38 US dollars (£1.81) an hour, a union has claimed.
https://www.whitchurchherald.co.uk/news ... -uk-staff/

Deadline für Erklärung vorm Parlament bis zum 22.3.
https://travelweekly.co.uk/news/cruise/ ... r-sackings

Versorgungsketten sind gefährdet:
https://www.globalcoldchainnews.com/sup ... ederation/
Johannes7
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Re: P&O Ferries stellt Betrieb vorübergehend ein

Beitrag von Johannes7 »

Tim S. hat geschrieben: Mo 21. Mär 2022, 18:14Ja, gut, das sind bedenkenswerte Aspekte. Derweil bekommt die Reederei die Folgen des PR-Desasters weiter zu spüren:
https://www.marketingweek.com/po-ferrie ... nosedives/
[...]
Für so eine Aktion sollte es P&O erst recht schwer haben neue Besatzungen zu finden.
Wenn sich ein Arbeitgeber so präsentiert, müsste man (wenn man sich es sich leisten kann) gleich vor der Vertragsunterzeichnung absagen.
Unfassbar.

Dazu noch dieser Artikel: https://www.n-tv.de/panorama/Anbieter-v ... 11857.html
Die Schifffahrt im Herzen - seit über 30 Jahren.
Volker Landwehr
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Re: P&O Ferries stellt Betrieb vorübergehend ein

Beitrag von Volker Landwehr »

Tim S. hat geschrieben: Mo 21. Mär 2022, 18:14 Und dieser Tarif ist durch nichts gerechtfertigt:
Indian seafarers hired to replace sacked P&O Ferries crews are being paid just 2.38 US dollars (£1.81) an hour, a union has claimed.
https://www.whitchurchherald.co.uk/news ... -uk-staff/
Zur Höhe des Stundenlohns sage ich nichts. Er stammt bisher aus einer Quelle, einer Gewerkschaft, also von interessierter Seite und ist nicht bestätigt.
Der ILO Mindestlohn für einen AB beträgt derzeit $641 pro Monat.

Die asiatischen Seeleute arbeiten für diesen Lohn, weil es mehr ist, als sie im eigenen Land verdienen können. Es gibt nicht nur Lohngefälle sondern korrespondierent ein Gefälle der Lebenshaltungskosten. Ein Stundenlohn allein sagt gar nicht aus und ihn mit unserem oder dem britischen Mindestlohn vergleichen heißt Äpfel und Orangen vergleichen.
Gruß, Volker
Tim S.
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Re: P&O Ferries stellt Betrieb vorübergehend ein

Beitrag von Tim S. »

Nach der Massenentlassung seiner Crews setzt der britische Fähranbieter P&O Ferries weiter alle Verbindungen aus. Verkehrsminister Grant Shapps sprach von einer "unsensiblen und brutalen Entscheidung" und erinnerte daran, dass P&O Kurzarbeitergeld erhalten habe. Die Regierung kündigte an, ihre Verträge mit dem Unternehmen zu überprüfen.
https://www.n-tv.de/panorama/Anbieter-v ... 11857.html
Tim S.
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Re: P&O Ferries stellt Betrieb vorübergehend ein

Beitrag von Tim S. »

Stena verlegt Stena Nordica Stena Line als drittes Schiff auf die Belfast-Cairnryan-Route als Konsequenz aus der P&O-Krise
https://www.niferry.co.uk/stena-line-ad ... po-crisis/
Tim S.
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Re: P&O Ferries stellt Betrieb vorübergehend ein

Beitrag von Tim S. »

Tim S.
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Re: P&O Ferries stellt Betrieb vorübergehend ein

Beitrag von Tim S. »

Pride of Hull wird von MCA inspiziert:
https://www.bbc.com/news/uk-england-humber-60839173
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