Ein Reisebericht von 1965 mit MS "BLEICHEN"

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Peter Hartung
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Ein Reisebericht von 1965 mit MS "BLEICHEN"

Beitrag von Peter Hartung »

Ein Reisebericht von 1965

Hochzeitsreise mit der M/S Bleichen im Mai 1965

Von Uwe Schöning

Nach über 40 Jahren werde ich versuchen, den Reiseverlauf möglichst korrekt wiederzugeben. Vorausschickend sei erwähnt, dass ich bei einer in Hamburg ansässigen Firma den Beruf eines Speditionskaufmanns erlernt habe. Diese wiederum war durch ein Stammhaus in Helsinki und Niederlassungen in Turku und Kotka vertreten. Insofern gab es bereits früh Kontakte zum Gemeinschaftsdienst, der „Deutsch-Finnischen-Linie“. Mitglieder waren die Reedereien Ernst Russ, H.M. Gehrckens und die Finska Angfartygs A/B (kurz FAA genannt).

Im festgelegten Wechsel setzte man wöchentlich drei Schiffe für die Abfahrt Helsinki / Kotka und einmal wöchentlich ein Schiff für die Destinationen Turku/Vaasa/Rauma ein. Traditionell wurde am Schuppen 23 abgefertigt (der 22er war z. B. der OPDR für Spanien/ Portugal und der 24er Bugsier für die Irland- Abfahrten vorbehalten).
Als ein Hauptablader – sprich Kunde der Reederei – mussten also regelmäßig für jede Abfahrt bis zu 60 – 80 Satz Konnossemente (mit Schreibmaschine erstellt!) eingereicht werden. Bei H.M.G war zur damaligen Zeit Herr Oestmann (später dann Herr Hermann) als Leiter der Expedition natürlich lebhaft daran interessiert, diese Bs/ L „as soon as possible“ zu bekommen, da dort dann das Manifest erstellen musste und dieses als Schiffspost mitreiste.

Diese Botengänge waren bei uns Azubi’s nicht allzu beliebt, musste doch ein Teil der Abendfreizeit darunter leiden. Wie dem auch sei – ich war jedenfalls in den Alsterarkaden (Russ) und Beim Neuen Krahn (HMG) ein zumindest sehnsüchtig erwarteter Gast.

Als „Gegenleistung“ erhielt ich 1961 oder 62 die erste Passage mit der M/S BLEICHEN unter Kapitän Schuldt. Ich weiß nur noch, dass die Fahrt von Hamburg via NOK nach Helsinki ging, von dort nach Loviisa und in Kotka wurde sowohl gelöscht als auch geladen.

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Foto: Uwe Schöning

In Loviisa habe ich dann selbst die ersten Erfahrungen mit der „Weinbrandwährung“ sammeln dürfen. Eingekauft für ca 2.50/3.00 DEM und für 20.00 weiterverkauft. Teilweise boten die finnischen Stauer ihre Frauen für den Gegenwert einer Flasche Alkohol an. Meine damalige Unterkunft war das Hospital – hierzu folgende Anmerkungen: Diese Frachtschiffreisen waren bei Reedereiangestellten, bei Kunden oder sonstigen Gästen „heiß begehrt“, ich musste pro Tag DEM 2,50 Verpflegungsanteil zahlen.

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Foto: Uwe Schöning

Also, im Hospital 2 Pax ( damals hieß das noch Passagier ), in der Eigner-Kabine 2, im Supercargo 2. Wenngleich für die Große Fahrt zugelassen, erfolgte der Einsatz in der kleinen Fahrt, ergo konnte in der Funkerkabine ( im Brückendeck ) noch ein Pax untergebracht werden und da man ohne den 3. Offizier fuhr, war dessen Kabine auch noch frei. Teilweise wurden also 8 bis 10 Personen als Gäste auf solche 14 – 16 tägigen Rundreisen mitgenommen, daher auch der Steward midships, ausschließlich für diesen Bereich.

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Foto: Uwe Schöning

Soweit die Vorgeschichte – halt ich muss noch erwähnen, dass ich in dieser Zeit ebenfalls Passagier auf der M/S BOTILLA RUSS war (auch dort war man an einem pünktlich Eingang der Ladepapiere stark interessiert… ) Eine weitere Reise als Einzelgast war dann mit dem DES NESS.
Ich hatte nach dem Wehrdienst geheiratet und als Jung-Angestellter mit einem Monatssalär von DEM 650,00 fehlte natürlich das Geld, um eine „ vernünftige“ Hochzeitreise zu machen. So wurden noch einmal die guten Kontakte zur Reederei H.M.G. aktiviert und meine Frau und ich erhielten im Mai 1965 eine Passage mit der M/S BLEICHEN – diesmal sollte die Rundreise bis in den nördlichsten Teil der Ostsee gehen.

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Foto: Uwe Schöning

Unser Zuhause für die nächsten 14 oder 15 Tage war dann die Eigner-Kabine. Wir meldeten uns im Laufe des Nachmittags beim Ladeoffizier und wurden an den für uns zuständigen Steward verwiesen, das Gepäck wurde von einem Matrosen in die Kabine gebracht. Nun hieß es einräumen, sich mit den Örtlichkeiten vertraut machen und wir lernten Kapitän Balkenhol kennen. In den späten Abendstunden legte das Schiff mit Schlepperassistenz ab, zuerst mit dem Hafenlotsen, dann kam bis Brunsbüttel der Elblotse. Aufgrund der langen Ladezeit musste das Schiff noch bis zur Einfahrt NOK seeklar gemacht werden, d. h. Lukendeckel für Lukendeckel wurde per Hand eingesetzt, dann die Persenning darüber und anschließend die Spanneisen. Die Ladebäume wurden festgezurrt, das Deck aufgeklart und schon waren wir in den Tagesrhythmus eingebunden. Nach 8-stündiger Kanalfahrt hatte unser Schiff die freie Ostsee erreicht und nahm Kurs auf Turku ( Ich habe bewusst immer die finnischen Städtenamen gewählt, also Turku statt Abo oder Helsinki statt Helsingfors ).

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Foto: Uwe Schöning

Es begann in der Tat etwas zu schaukeln, was für meine gerade angetraute Ehehälfte Grund war, das untere Etagenbett zu beziehen - begleitet von den Worten „Mir ist gar nicht gut“. Der Wind nahm dann doch kräftig zu und erreichte in Spitzen Windstärken 8 bis 9, das war Anlass, dass sie mit dem hiesigen Leben abschließen wollte.
Mensch, was haben wir überlegt – von Turku die Schnellfähre nach Stockholm und dann mit dem D-Zug nach Hause. Aber auch an frommen Ratschlägen seitens der Mannschaft fehlte es wirklich nicht – man muss ein Stück Speck am Bindfaden runterschlucken und dann wieder... Derweil übte ich mich im korrekten Halten der Pütz, wobei es dem Moses nicht viel besser ging – nur das arme Schwein musste dabei noch arbeiten.

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Foto: Uwe Schöning

Weil frische Seeluft schon seit jeder ein bewährtes Heilmittel war, wurde auf dem Peildeck ein Liegestuhl aufgebaut und so erreichten wir dann nach 2 ½ tätiger Überfahrt unseren ersten Hafen. Es war schon ein besonderes Erlebnis, wenn der 1. Offizier Herr Neumann für die nächtliche Schärenfahrt einen Lotsen anforderte – „Here is the german cargo ship BLEICHEN, calling for the pilot...“

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Foto: Uwe Schöning

Durch das ruhige Fahrwasser besserte sich der Zustand meiner Frau in der Tat und den weiteren Verlauf der Reise hat sie dann auch genossen. Von Turku ging’s dann weiter nach Uusikaupunki, dann Rauma, Mäntyluoto, Vaasa, Pietasaari, Oulu und zum Schluss Kemi.

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Foto: Uwe Schöning

Gelöscht wurden die in Hamburg per Schute, Lkw, Waggon oder vom Schuppen übernommen Stückgüter aller Art, bei Gefahrgut als Deckslast gestaut. Das Löschen erfolgte überwiegend mit dem eigenem Ladegeschirr. Fast alle Finnland-Schiffe verfügten auch über einen Schwerlastbaum für 40 tons. Die Rückladung bestand überwiegend aus Papierrollen oder Zellulose. Holz habe ich als Ladung selbst nie kennengelernt.

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MS "CREMON", damals der modernste Frachter für den Transport von Zeitungsdruckpapier in Rollen. Fährt heute noch als norwegische "DEBORA". Foto: Uwe Schöning.

Der 27. Mai 1965 ist in besonderer Erinnerung geblieben – nicht nur weil Christi Himmelfahrt oder Vatertag war, sondern der Tagesablauf selbst. Wir lagen in Mäntyluoto, gearbeitet wurde nicht. Also organisierte der 2. Offizier, Manfred Dau, eine Vatertagstour. Neben ihm nahm der 3. Ing., 5 oder 6 Matrosen und wir an dieser Fahrt mit dem Rettungsboot teil. Mäntyluoto ist der Seehafen von Pori, die Stadt liegt ca. 10 km landeinwärts an einem Fjord. Verpflegung in flüssiger Form war reichlich gebunkert und es stellten sich sehr schnell menschliche Probleme ein. „Frau Schöning – den Ausguck nach achtern besetzen“ - und vorne gab’s dann Wasserspiele....

Letzter Lösch – und Ladehafen war dann Kemi, hier trafen wir auch den jüngsten Neubau der Reedereiflotte, die M/S CREMON, ein vollkommen neu entwickelter Frachter für den schonenden Papierrollentransport.

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"BLEICHEN" an der Bunkerstation im NOK. Foto: Uwe Schöning

In ca. 3 Tagen ging es dann zurück nach Kiel – Holtenau. Soweit heute noch in Erinnerung, hat meine Frau diesen Teil der Passage verhältnismäßig gut überstanden. Als dann vom Koch ein HMG-Gedächnisessen (sprich Spargel mit Schinken) zelebriert wurde, waren fast alle kleinen und großen Hindernisse dieser Reise vergessen. Die Fahrt durch den Kanal und dann elbaufwärts nach Hamburg verlief problemlos – ich meine , wir löschten am Schürfeldt-Schuppen 27.

Natürlich könnte man ein ganzes Buch schreiben – über die Verpflegung , über die vorbeugenden Spritzen des 2. Offiziers, über nächtliche Gespräche mit dem wachhabenden Offizier, Unterricht in Nautik usw.usw.

Aus dieser Fahrt ist dem 2. Offizier eine Freundschaft entstanden und nicht ohne Grund heißt unsere Tochter auch Meike . Nur zum Malte hat’s halt nie gereicht.Wir haben dann seit 3 Jahren Kontakt mit Herrn Cem Cantas in Istanbul und wussten so immer in etwa, was die OLD LADY auf ihren regelmäßigen Reisen ins Schwarze Meer so treibt. Nun wird sicher verständlich, warum unser Herz gerade und insbesondere so an diesem Schiff hängt.

+++

Dieser alte Reisebericht wurde erstmalig im Jahr 2008 mit Einverständnis von Uwe Schöning veröffentlicht auf der mittlerweile nicht mehr erreichbaren Internet-Seite unter-blauer-flagge.de.

+++

mfg Peter Hartung
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Mattis
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Re: Ein Reisebericht von 1965 mit MS "BLEICHEN"

Beitrag von Mattis »

Moin Peter,
sehr eindrücklich, dieser Bericht! Ich habe ihn sehr gerne gelesen und -obwohl fast 50 Jahre dazwischen liegen- Parllelen zu meiner Reise erkannt.
Schön auch, dass Fotos aus dieser Zeit vorhanden sind!

Liebe Grüße
Mattis
DBauer
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Re: Ein Reisebericht von 1965 mit MS "BLEICHEN"

Beitrag von DBauer »

Moin Peter,
vielen Dank, auch an den Autor, für diesen tollen Bericht, der etwas Einblick gibt in das Bordleben in den
60iger Jahren. Werde das nächste Mal beim Anblick der "Bleichen" an diese Geschichte denken.

Ich glaube, das ich bei einer "Mini-bulker"- Reederei die "besseren Karten" als Lehrling hatte. Unsere Schiffe hatten kein Stückgut, also gab es für die Ladung nur ein B/L. Ich kann
mich allerdings an die langen Stunden für das Erstellen und Versenden der "Positionslisten" erinnern.
Tschüss
Dierk
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