Kein leichter Abschied.
Demnächst unter tropischer Sonne: Das Brückendeck der HANNELORE.
Sie war die letzte der kleinen „Flensburger“ und es war nicht ganz zufällig,
daß ich die HANNELORE als Titelfoto für einen Kümofilm auswählte.
Mehr als alle anderen der letzten „Überlebenden“ symbolisiert dieses Kümo
für mein Empfinden das typische Erscheinungsbild eines konventionellen
Küstenmotorschiffs der 1960er-Jahre.
Nur selten von Kümos angelaufen: Kappeln an der Schlei. Im September 2010
brachte die HANNELORE eine Ladung Düngemittel aus Danzig in die Stadt.
Die dezent abgerundeten Aufbauten, der leichte Deckssprung und vor allem
die Kümo-typischen schräg gestellten Decksstützen, die das Achterdeck seitlich
einkleiden sind die charakteristischen Merkmale im modischen Schiffbaustil
„der neuen Zeit“ des Wirtschaftswunders.
Kaum eine andere Schiffbauepoche war so eindeutig - sowohl in der
Linienführung als auch in der Absicht. So waren die Schiffskonstrukteure
des Wirtschaftswunders offenbar bedacht, ihre Schöpfungen über das rein
ökonomische Interesse hinaus, als harmonisches Gesamtwerk mit Botschaft
an die Zeit zu verstehen.
Die HANNELORE auf der Elbe. Ein sehr häufiger Törn war die Strecke HH-Rostock
Gerade Linien wurden nicht bis zum Ende trostlos durchgezogen,
sondern meist mit leichtem Schwung, mit einer Wölbung, einer Kurve
zum Abschluß gebracht. Das Eine geht in das Andere über, so wie
die See niemals Kanten und Ecken bildet. Insgesamt eine lebende Form,
die aber zweckmäßig bleibt – und wie zu allen Epochen dem
Zeitgeschmack unterliegt.
Als architektonisches Extrembeispiel seien hier die Schiffe der
Cap San Diego-Klasse genannt, Schiffe die offenbar auch für die Sinne
entworfen wurden und nicht ohne Grund „Die Schwäne des Nordatlantiks“
genannt wurden – auch wenn sie nur gefrorenes Rindfleisch transportierten.
Soweit konnte man bei Kümos nicht gehen.
Es zeigt aber, welche Rolle das ästhetisch-konstruktive Bewusstsein,
das über den reinen Nutzgedanken hinausging, bei den Frachtschiff-
konstrukteuren der damaligen Zeit spielte. Zahlreiche Kümowerften
folgtem dem „Stil der neuen Zeit“. Manche mehr, manche weniger.
Vorreiter der neuen Eleganz war aber mit Sicherheit die Sietas-Werft
mit ihren ersten Typschiffen.
Kümos am Auedeich in Hamburg-Finkenwerder. Ein letzter Liegeplatz für die Küstenschiffahrt
zwischen den Ladezeiten.
Die HANNELORE habe ich auch aus einem zweiten Grund besonders
lieb gewonnen: Man sah sie ständig.
Und zumindest von diesem Kümo ließ sich bis zuletzt sagen:
Noch in Fahrt! Auch das war ein Grund, sie vorne auf das Cover der
DVD zu bringen – bei all den Abschieden der letzten Jahre.
Zusammen mit HOGELAND und MERIDIAN war HANNELORE
das letzte konventionelle Kümo, das regelmäßig auf der Elbe zu sehen
war.
Erst das Tuckern, dann der Gedanke - dann der Blick: Ein Kümo kommt.
Im Nebel, in der Nacht, in der Mittagshitze, in den Eisschollen,
im Herbstlaub, im Nieselregen, im Sturm: Ein Kümo kommt.
Und ganz zuletzt war es meistens nur noch dieses Kümo.
MERIDIAN aus Wilhelmshaven im Hintergrund ist nur wenige Jahre jünger als die Hannelore,
zeigt aber schon mehr eckige Aufbauformen. In der Mitte die noch neuere ILKA aus Husum.
Ohne weitere Sentimentalitäten anzuregen, muß ich doch zugeben,
daß mir die Nachricht vom jüngst vollzogenen Schiffsverkauf etwas
mehr als bei den anderen Schiffsabgängen zusetzte.
Durch ihr häufiges Auftauchen gehörte die HANNELORE irgendwie dazu.
Egal ob Elbe, Weser, Kanal, Deutsche Bucht, Ostseeküste:
Irgendwo kam sie immer vorbei. Das war schon zu Zeiten der KARINA W
nicht anders.
Nie werde ich den Augenblick vergessen, als ich zu spät kam und gerade
noch das Heck der KARINA W hinter den Inseln vor Aerösköbing
verschwinden sah. „Das passiert dir nie wieder“ hatte ich mir damals
geschworen und dachte dabei an eine idyllische Filmszene mit einem meiner
Lieblingskümos in einem winzigen Hafen.
Dieses Erlebnis war einer der Auslöser dafür,mit dem Kümofilmen systematischer
vorzugehen und es war ebenfalls Antrieb für eine zielgerichtete Dokumentation.
Erst Jahre später sollte ich das Glück haben, das inzwischen als HANNELORE
registrierte Schiff in einem ähnlich selten angelaufenen Hafen, nämlich in
Kappeln anzutreffen.
Kümos wie die HANNELORE symbolisieren ein Stück Lebensgefühl,
ein Stück Heimat - mit der wunderbaren Aussicht auf Freiheit.
Überall hinkommen, jederzeit wegkommen.
Jugendträume. Vagabundenleben von Kümo zu Kümo. Mädchennamen
und Kneipen zwischen Finnland und Goole, mehr als das Fotoalbum fassen
kann. Wenn die Kümoleute erzählten, fehlten selten Einzelheiten.
Hippiezeit auf kleiner Fahrt mit Gitarre und Seesack - ohne Existenzsorgen
und immer nur zwei Tagesreisen von Mutters Bratpfanne in Altona entfernt.
Was für ein Leben…
So waren Kümos für mich auch immer Toröffner zu neuen Phantasien,
neuen Plänen. Gedankenmacher zur Hinterfragung meines Großstadtlebens
mit all seinen Anpassungszwängen und seinen unseemännischen Nichtigkeiten.
Wenn die Kümos damals am Fischmarkt in Reihe lagen, ging ich jedenfalls
mit ihnen auf Phantasiereise zu neuen Horizonten.
Das Küstenmotorschiff MS HANNELORE tritt nach 49 jähriger Fahrtzeit
unter deutscher Flagge eine reale Reise zu neuen Horizonten an.
Und wer weiß, vielleicht erlebt die kleine Flensburgerin im karibischen
Meer noch einmal ihr ganz großes Abenteuer.
Hübsch ist sie ja...
Fahre wohl gutes Schiff
und grüß die Anderen!
jan myck